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Deutsch-französische Kontakte in schwieriger Zeit:
Neujahrsgrüße aus Hiltrup

Gründung der Missionsschule in Hiltrup 1897

Die Gründung der Hiltruper Missionsschule und ihre Entwicklung in den ersten zehn Jahren sind nur verständlich auf dem Hintergrund der deutschen Politik vor der Jahrhundertwende. Deutschland wird nach dem deutsch-französischen Krieg Kolonialmacht und übernimmt u. a. 1884 die Schutzherrschaft über den sog. Bismarckarchipel, d. h. über die Gebiete der Südsee, in denen die französischen Herz-Jesu-Missionare seit einigen Jahren arbeiten. Aus dem damaligen nationalen Denken heraus ist es verständlich, dass die deutsche Kolonialverwaltung die französischen Missionare durch deutsche Missionare, die in Deutschland ausgebildet sind, ersetzen möchte. Diesem außenpolitischen Wunsche stehen aber paradoxerweise innenpolitisch die Kulturkampfgesetze, insbesondere das Anti-Jesuitengesetz, im Wege. Eine schizophrene Situation: auf der einen Seite das Drängen auf Ausbildung von Missionaren in Deutschland - zugleich aber Verbot jeder Ausbildungsstätte in Deutschland.

[…] wenden wir uns dem Manne zu, dem nach zähen Verhandlungen der Durchbruch nach Deutschland, durch die Mauer einer ordensfeindlichen Gesetzgebung gelingt: P. Hubert Linckens.

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Königliche Regierung.          
Abtheilung für Kirchen- und Schulwesen.
          Münster, den 26ten Mai 1898

Der im Missionshause an etwa 80 Zöglinge ertheilte Unterricht unterliegt nach den einschlägigen bestimmten gesetzlichen Vorschriften, wie überhaupt jede Art von Unterrichtsertheilung in allen öffentlichen und privaten Unterrichts- und Erziehungsanstalten der staatlichen Aufsicht (§1 des Gesetzes vom 11. März 1872).
Zur Entscheidung der Frage, von welcher Behörde diese Aufsicht auszuüben ist, bedürfen wir der näheren Angabe hinsichtlich der Schuleinrichtung der Anstalt, insbesondere auch des Lehrplans.
Wir ersuchen um baldige Mittheilung.
Gescher

An den Vorsteher der Niederlassung der Missionsgesellschaft vom hl. Herzen Jesu
Herrn Rektor Linckens
Hochwürden

Wegen seiner Bedeutung als Erbauer der Hiltruper Missionshäuser und damit auch der Schule, und als erster Leiter der deutschen Ordensprovinz, an dieser Stelle einige Angaben zur Person. Hubert Linckens, 1861 in Südholland geboren, […] hat das Vorbild und die Spiritualität der Gründergeneration täglich vor Augen. Als junger Novize wird er buchstäblich von der Polizei auf die Straße gesetzt und aus Frankreich ausgewiesen. Als Theologiestudent sehen wir ihn in Tilburg als Mitarbeiter im Propagandabüro […]. Einige Jahre nach der Priesterweihe wird er Direktor des Missionsseminars in Antwerpen. Mit 33 Jahren erhält er vom Generalrat 1894 den Auftrag, die erste Gründung der MSC auf deutschem Boden vorzubereiten. Trotz der Schützenhilfe, die P. Linckens von der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes erfährt, gestalten sich die Verhandlungen äußerst schwierig und langwierig.

Der Stein des Anstoßes: Man stellt sich in Berlin auf den Standpunkt, der Name „… vom Hl. Herzen Jesu“ falle unter das Jesuitengesetz, d. h. der Schulträger gehört zu einer durch Gesetz von 1873 in Deutschland verbotenen Vereinigung.

P. Linckens versucht, in zwei ausführlichen Gutachten an den Reichskanzler den Beweis zu erbringen, dass die Herz-Jesu-Missionare keine Tarnorganisation des Jesuitenordens sind und dass auch keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen zum Jesuitenorden bestehen. […]

Die Antwort der Reichsregierung trieft zwar nicht von Wohlwollen, zeigt aber doch einen kleinen Hoffnungsschimmer. Hier das wörtliche Zitat aus einem Brief an P. Linckens: „Der Name 'vom Herzen Jesu' bietet zwar Anlass zu einer strittigen, aber nicht unlösbaren Rechtsfrage, die gegebenenfalls bei einem direkten Gesuch entschieden werden kann“. Daraufhin stellt P. Linckens am 5. Juni 1895 ein Gesuch an den preußischen Minister für Kultus und fügt eine Empfehlung des Bischofs von Münster bei. Die Ordensleitung zieht als Standort für die Niederlassung den Raum Münster in nähere Erwägung. Doch zunächst werden immer neue Bedenken gegen das Projekt ins Feld geführt.

Viele Stolpersteine werden in schriftlichen und mündlichen Verhandlungen aus dem Weg geräumt, bis endlich nach 12 Monaten, am 30. Mai 1896, die Kultusbehörde grünes Licht gibt. Aber folgende Bedingungen werden an die Genehmigung geknüpft:

1. Es muß eine rein deutsche Ordensprovinz gebildet werden.
2. Diese darf nicht der Generalleitung des Ordens unterstellt werden, sondern lediglich der Glaubenskongregation in Rom - vom Ordensrecht her gesehen ein Nonsens!
3. Schulpflichtige Jungen dürfen nicht aufgenommen werden - eine für die Existenz der Schule unzumutbare Auflage.

Diese harten, zum Teil widersinnigen Bedingungen werden um der Sache willen angenommen. P. Linckens wird direkt von der Kongregation in Rom zum Provinzial und Superior des Hauses ernannt, das er nun nach eineinhalbjährigen Verhandlungen erbauen kann.

Mit großer Umsicht und Energie macht sich der 35jährige Bauherr ans Werk. Es ist bewundernswert, dass nach dem langen Geplänkel der Vorbereitungszeit die Durchführung des Vorhabens in kürzester Zeit gelingt. Für den Grundstückskauf am Südrand von Hiltrup, für die Bauplanung durch den Architekten Wucherpfennig, für die Baugenehmigung durch die Behörde und die Errichtung des stattlichen Missionshauses für 150 Bewohner wird insgesamt nur ein Jahr benötigt. Das ist auch nach heutigen technischen Maßstäben eine ausgezeichnete Leistung, zumal wenn wir die finanzielle Seite mitbedenken. Es steht P. Linckens kein staatlicher oder kirchlicher Zuschuss zur Verfügung. Die Ordensleitung signalisiert aus Rom lediglich Segenswünsche für das Werk. Hilfsbereit sind nur Missionsfreunde und private Kreditgeber. Am 23. August 1897 ziehen die deutschen Insassen von Antwerpen nach Hiltrup um.

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Missionshaus 1917 Missionshaus kurz nach der Fertigstellung Missionshaus im Bau 1897
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Speisesaal 1917 Kapelle 1917 Aula mit Bühne 1917

Einweihung mit Hindernissen

23. August 1897 - ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der Schule! Eine „kinderreiche“ Ordensfamilie (8 Patres, 22 Theologen, 14 Brüder und 75 Schüler) kehrt heim nach Deutschland in das neue „Vaterhaus“ in Hiltrup. Das offenkundige Misstrauen der preußischen Behörde hat ihrer Vaterlandsliebe allerdings keinen Abbruch getan. Wie es in der Chronik heißt, erschallt beim Grenzübertritt nach Deutschland aus über 100 kräftigen Kehlen: „Deutschland, Deutschland über alles…“ Der Zollbeamte soll vor lauter Begeisterung vergessen haben, seines Amtes zu walten.

Die Schüler fahren in Heimatferien. Die Erwachsenen beginnen in Hiltrup mit der Herrichtung von Schule und Haus. Nach Rückkehr der Schüler aus den Ferien wird im Oktober 1897 die Schule als ordensinterne Privatschule eröffnet. Die offizielle Einweihung des Missionshauses wird für den 13. Dezember 1897 vorgesehen. Das Fest wäre so schön und harmonisch verlaufen, wenn da nicht am 1. 12. 97 die Visitation der Schulbehörde gewesen wäre. Alles wird eingehend besichtigt, und P. Linckens beantwortet alle Fragen ausführlich, ohne zu ahnen, dass dieser amtliche Besuch ihm ein paar Tage später schlechte Zensuren einbringt. Er selber gesteht, dass er sich plötzlich „vor einem ganzen Berg von ungeahnten Schwierigkeiten“ befindet. Das geht soweit, dass ein Regierungsbeamter ihm ein paar Tage vor der Einweihung droht, die Anstalt wegen Gesetzwidrigkeiten sofort zu schließen. Die Forderung, die Einweihung in letzter Minute zu verschieben, lehnt P. Linckens ab. Die Liste mit den Beanstandungen legt er bis nach den Feierlichkeiten ad acta. Deshalb nimmt die Regierung an der Einweihung nicht teil und spricht von einer „dreisten Tat“ P. Linckens’.

Die Darstellung des Heiligsten Herzens Jesu ist noch heute am Portal des alten Missionshauses zu sehen

Am 13. Dezember 1897 findet vor zahlreichen geladenen Gästen die feierliche Einweihung des Hauses und der Kapelle statt, und zwar durch Bischof Hermann Dingelstadt von Münster. Der Schülerchor singt die vierstimmige Messe von Stehle. Nach dem Hochamt spendet der Bischof einigen Schülern das Sakrament der Firmung. Beim anschließenden Festakt lobt der Bischof ausdrücklich die musikalische Leistung der Schüler und Studenten. „Ich hätte nicht geglaubt, in Hiltrup solche Nachtigallen zu finden, die selbst in rauer Winterszeit mit soviel Frische und solchem Wohlklang schlagen.“

Viele Gäste aus Nah und Fern sind der Einladung zum Tag der offenen Tür gefolgt. Den Festtag beschließt ein Fackelzug um das im Dunkeln erleuchtete Missionshaus. Dabei werden „fromme und patriotische Lieder“ gesungen.

Als lästiges Nachspiel zu den Feierlichkeiten geht P. Linckens dann daran, sich aus dem Gestrüpp der preußischen Bürokratie, in das er ahnungslos geraten ist, zu befreien. Folgende strafbare Handlungen wirft man ihm vor:

1. P. Linckens hat es unterlassen, nach Eröffnung des Hauses einen genauen Bestandsnachweis einzureichen. Polizeiliche Anmeldung allein genügt nicht.
2. Dem Holländer Linckens war nicht bekannt, dass Ordensleute noch besonderen, sehr kleinlichen Ausnahmebestimmungen unterworfen sind.
3. P. Linckens und einige Hausinsassen haben noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft.
4. Unter den Schülern aus Antwerpen befinden sich verbotenerweise noch einige Schulpflichtige.

Dieser „Berg von ungeahnten Schwierigkeiten“ wird in kurzer Zeit abgetragen. P. Linckens findet am 12. 3. 1898 nach seinen eigenen Worten „Aufnahme in den preußischen Untertanenverband“. Für kurze Zeit übernimmt er wieder die Leitung der Schule. Das widersinnige Verbot der Aufnahme schulpflichtiger Jungen macht ihm noch einige Zeit zu schaffen. Endlich im Oktober 1899 wird durch ministerielle Verfügung gestattet, Jungen schon ab 12 Jahren aufzunehmen.

P. Karl Springob MSC: Kardinal-von-Galen-Schule. In: Kardinal-von-Galen-Schule 1946-1986. Festschrift zum 40jährigen Jubiläum, Münster 1986