Uli Boldt, Pädagoge von der Uni Bielefeld, ging auch der Frage nach, warum Jungen schlechtere schulische Leistungen zeigen als Mädchen. Foto: rox

„Das Individuum stärken“

Diskussionsabend am KvG drehte sich um Rollenbild von Jungen

Münster-Hiltrup. Gleich mehrere Frauen greifen sich Steine, ein Mann nimmt eine Taschenlampe an sich. Eine weitere Mutter wählt einen Böller aus, eine andere einen Tennisball. Was alle gemeinsam haben: Sie wollen mithilfe der ausgewählten Gegenstände dokumentieren, was sie für „typisch Junge“ halten. „Mein Sohn hat immer einen Stein in der Tasche“, erläutert die eine. Die andere meint: „Der Stein steht für Naturwissenschaften, die stehen in einem engeren Zusammenhang mit Jungen.“ Mit Blick auf den Böller in ihrer Hand meint eine weitere Teilnehmerin: „Mit so etwas sehe ich immer nur Jungs. Da krieg' ich die Krätze!“

Eine muntere Diskussion entwickelt sich im Anschluss an diese Kommentare. Schnell wird klar: So einfach ist das nicht. Eine Mutter berichtet von ihrer Fußball spielenden Tochter und ihrem Sohn, der sich in jungen Jahren auch gerne mal mit Puppen beschäftigt habe. Doch gerade da hakt eine Zuhörerin ein: „Mädchen haben mehr Optionen.“ Ihnen würde es eher zugestanden, Interessen nachzugehen, die nicht dem typischen Rollenklischee entsprächen. Jungen hätten in diesem Fall eher mit Hänseleien zu kämpfen.

„Sie sehen, es gibt eine Vielfalt von Wahrnehmungen. Eigentlich muss man das Individuum sehen“, bemerkt Uli Boldt. Der Pädagoge von der Uni Bielefeld ist am Donnerstagabend ins Kardinal-von-Galen-Gymnasium gekommen, um auf Einladung der Schulpflegschaft und der „Initiative „Schulprofil“ vom KvG mit den zahlreich erschienenen Eltern und einigen Lehrern der Frage „Jungeninteressen stärker wahrnehmen?“ nachzugehen. Er sieht auch das Problem, dass tanzende Jungen immer noch eher ein Problem sind als Fußball spielende Mädchen. „Es gilt, das Individuum so zu bestärken, dass es das machen kann, was es möchte.

Ausgangspunkt der vielschichtigen Diskussion ist aber die folgende Erkenntnis: „Mittlerweile zeigen Jungen in allen Schulformen schlechtere Leistungen als Mädchen“, berichtet Boldt. Er hebt in seinen Ausführungen drei mögliche Ursachen für dieses offenkundige, durch zahlreiche Studien untermauerte Faktum hervor: Die Mediennutzung, die „Männerarmut“ und die unter Umständen zu wenig auf Jungen abgestimmten Lernmethoden.

„Die Elternhäuser sollten stärker in die Pflicht genommen werden“, meint Boldt mit Blick auf den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen. Auch hier zeigt er Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf und verweist darauf, dass Jungen ein erheblich größeres Interesse an Gewaltspielen zeigten.

Mit „Männerarmut“ tituliert der Pädagoge das folgende Phänomen: „Männer umgeben einen zwar, man erlebt sie aber nicht.“ Frauen werde immer noch sehr viel an sozialer Arbeit überlassen, Väter sollten aktiver sein und sich intensiver mit ihren Kindern beschäftigen. Sei kein Vater in der Familie präsent, sollten Onkel oder Opas als Vorbilder dienen. Mit Blick auf die Lernmethoden berichtet er, dass Jungen schnellere Rückmeldung über ihren Leistungsstand und klarere Anweisungen bräuchten. „Mädchen haben in der Regel ein besseres Selbstbild und eine bessere Selbsteinschätzung“, bemerkt der Referent in diesem Kontext.

Ein großes Thema ist im Zusammenhang mit den Lernmethoden auch, ob es unter Umständen von Nutzen sein könnte, monoedukativ zu unterrichten, das heißt, nach Geschlechtern getrennt. Boldt verweist mithilfe einiger Beispiele darauf, dass dies phasenweise durchaus sinnvoll sein könnte. Letztlich resümiert er aber: „Einfache Lösungen gibt es für das Problem nicht!“ Auch gebe es bislang bezüglich der Ursachen für die Leistungsunterschiede zwischen Mädchen und Jungen nur Mutmaßungen. Boldt betont aber abermals, dass seiner Ansicht nach „der enorme mediale Einfluss“ und „die fehlende Männlichkeit“ eine wichtige Rolle spielen könnten.

Julia Rox, Westfälische Nachrichten 10. 02. 2007