Große Resonanz: Rund 100 Eltern verfolgten am Donnerstag Abend im Kardinal-von-Galen-Gymnasium gespannt den Vortrag zum brisanten Thema "Nullbock auf Lernen". Foto: Loroch

Strafe völlig fehl am Platz

Zahlreiche Eltern hörten Vortrag zum Thema „Nullbock auf Lernen“

Hiltrup. „Nullbock auf Lernen - Wie sollen wir als Eltern reagieren?“ lautete das Thema des Vortrages, zu dem die Arbeitsgruppe „Werte und Einstellungen“ des Hiltruper Kardinal-von-Galen-Gymnasiums am Donnerstagabend eingeladen hatte. Knapp 100 Eltern folgten interessiert der zweieinhalbstündigen Veranstaltung. Rechtschreibfehler, ungelöste Mathematikaufgaben oder Vokabeldefizite - Probleme, mit denen sich Schüler, Eltern und Lehrer gleichermaßen herumschlagen, die aber in vielen Fällen vollkommen unnötig seien, so die Referentin Jutta Streer.
Wer hätte sich nicht schon einmal die Frage gestellt, warum er die ein oder andere Fremdsprache, das Instrument oder die Sportart bis heute eigentlich nie so richtig gelernt habe, obwohl er sich ansonsten doch gar nicht so dumm anstelle. „Es gibt eben Dinge, die kann man einfach nicht“, sei vielleicht die simpelste Erklärung, aber nicht unbedingt die richtige. Denn in den meisten Fällen mangele es nicht etwa an den notwendigen geistigen oder körperlichen Grundvoraussetzungen. Vielfach seien negative Reaktionen der Umwelt die Ursache für abgebrochene Lernprozesse. Als Beispiel führte die Lerntherapeutin und Schulbuchautorin aus Leverkusen den nörgelnden Ehemann an, der die Tenniskünste seiner Frau nur entnervt kommentiere, sie strenge sich nicht genug an. - Die Frau fühle sich angegriffen, reagiere verunsichert und sei damit noch weniger leistungsfähig. Dadurch wiederum werde der Unmut des Gatten verstärkt.
Die Folgen seien Frustration und schließlich: Aufgabe. Ein Teufelskreis. Dies sei übertragbar auf das Lernverhalten der Kinder. Eine kurzfristige Überlastung könne sich unter Umständen zu einem weitreichenden Lerndefizit ausweiten. Druck und Strafe seien hier völlig fehl am Platz. Das Wichtigste sei, das Selbstwertgefühl des Schülers wieder aufzubauen. Viel zu viel Zeit vergeude man häufig damit, die gemachten Fehler immer wieder neu zu analysieren. Ganz im Gegenteil: Man solle einen Neuanfang starten und dem Kind zu verstehen geben: „Wir glauben an dich, du kannst das schaffen!“ Nur eine konsequente, schrittweise Aufbereitung des nachzuholenden Stoffes führe letztlich zum Ziel. Eltern, Lehrer und Schüler müssen insoweit an einem Strang ziehen. Merken die Jugendlichen irgendwann selbst, die Lernerei bringe tatsächlich etwas, sei der schwierigste Schritt getan.
Stefanie Loroch, Münstersche Zeitung 17. 11. 2001
Jutta Streer

„Lawinenwirkung frühzeitig stoppen“

Lerntherapeutin zum Thema Lemstörungen

Münster-Hiltrup. Eine Lernstörung hat nichts mit einer Schwäche wie der Legasthenie oder mangelnder Intelligenz zu tun. Dies stellte Jutta Streer von vorneherein klar. Die ehemalige Lehrerin und jetzige Lerntherapeutin referierte am Donnerstagabend im Kardinal-von-Galen-Gymnasium über das Thema „Nullbock auf Lernen -Wie sollen wir als Eltern reagieren?“. Die Eltern-Lehrer-Arbeitsgruppe „Werteerziehung“ hatte hierzu eingeladen.
Die Referentin baute ihren Vortrag auf dem so genannten „Teufelskreis Lernstörungen“ auf. Dieser beschreibt die Wechselwirkung zwischen der Umwelt des betroffenen Kindes, seinem Selbstwertgefühl und der daraus resultierenden schlechten Leistung, die diesen sich selbst verstärkenden Effekt beeinflusst. Streer beleuchtete die Ursachen unter drei Gesichtspunkten. Ein Grund, der beim Kind liegen könne, sei oftmals ein unerkanntes körperliches Gebrechen wie Seh-, Hör- oder Motorik-Schwierigkeiten. Von der schulischen Seite aus können unpädagogisches Verhalten oder ein zu wenig geübtes Basiswissen die Gründe sein. Zudem kommen noch familiäre Anlässe hinzu. Einschneidende persönliche Veränderungen wie ein Umzug oder das Erziehungsverhalten der Eltern wurden angeführt.
Streer versuchte an einem Exempel verständlich zu machen, dass Kinder mit einer Lemstörung grundsätzlich zwar die betreffende Fähigkeit besitzen, diese aber nicht entsprechend nutzen. Die Lerntherapeutin schilderte folgende Situation: Ein Erstklässler achtet beim Lesen nicht auf die Details, die die Buchstaben unterscheiden. So präsentierte sie den rund 70 Eltern einen Text, bei dem die Buchstaben verdreht waren. „Der Schüler tauscht das S durch ein Z aus, weil er nicht genau hinsieht. Aber er könnte genau hinsehen.“
Daher gab sie den Eltern zehn Gebote mit auf den Weg. Primär sollten die Eltern, die meinen, bei ihrem Kind eine Lemstörung entdeckt zu haben, das Kind akzeptieren wie es ist, Misserfolge besprechen, aber diese nicht dramatisieren und das Arbeitsverhalten diskutieren. Allgemein gab sie den Rat: „Es lohnt sich, ein Defizit frühzeitig anzugehen. Nicht jedes Defizit entwickelt sich zu einer Lemstörung, wenn die Lawinenwirkung gestoppt wird.“
Julia Rox, Westfälische Nachrichten 17. 11. 2001