„… und raus bist du!“ – Armut inmitten der Wohlstandsgesellschaft

9. Interdisziplinärer Studientag am KvG 2011

Zeitplan

7.55 – 9.25 Uhr Auftakt - Aula
• Begrüßung – Herr Udo Hühn
• „Crashkurs“ – Was ist Armut? Herr Matthias Hagemann
• Ausschnitt aus einem Film von Schülern der Jg. 12
• Impulsreferat von Frau Prof'. Dr. Marianne Heimbach-Steins, Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften der WWU Münster
• Kurze Aussprache
• Song – Herr Florian Löbel
9.45 – 11.20 Uhr ca. 14 Arbeitsgruppen (vorab von den Schülerinnen und Schülern angewählt) mit Experten
11.45 – 13.00 Uhr Podiumsdiskussion – Moderation: Herr Paul Thelosen
Schlusswort: Herr Dr. Hein Zopes
Am Donnerstag, 17.02., arbeiteten die 220 Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 11 und 12 einen ganzen Schulvormittag lang anders als gewohnt. In einem Wechsel von Plenums- und Gruppenarbeit beschäftigten sie sich mit verschiedenen Facetten von Armut – auch im reichen Münster. In einem sozialwissenschaftlichen Crashkurs „Was ist Armut?“ von Herrn Matthias Hagemann lernten sie zunächst zu unterscheiden zwischen absoluter, relativer und gefühlter Armut, erfuhren Wissenswertes über die Prinzipien des Sozialstaats und die Säulen der Sozialversicherung. Die Konfrontation mit Zahlen der Statistik über Münster, die Arbeitslosenquote, die Zahl der AlgI/AlgII - Empfänger, der Leistungen nach „Hartz IV“ und „Sozialhilfe“, die Zahl verschuldeter Personen und die Anzahl der Wohnungslosen machten nachdenklich.

Es war ein Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis, z.B. bei der Frage nach dem Zusammenhang von Armut und Bildung mit Frau Prof. Dr. Heimbach-Steins, Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften an der WWU Münster. Für die meisten Schüler war es sicher die erste Vorlesung. Was bedeutet es, „abgehängt“ zu sein, was heißt ganz konkret Mangel an Teilhabe, Mangel an Teilnahmemöglichkeiten in der Gesellschaft? Worin unterscheiden sich Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit? Wenn man allen das Gleiche gibt, wird man dann auch denen gerecht, die eine schwierigere Ausgangslage haben?

„Öffnung von Schule“ und Interdisziplinarität – zeigten sich am Studientag darin, dass 17 Gäste aus ihrem beruflichen Umfeld mit den Schülerinnen und Schülern anschließend in kleinen Gruppen beispielsweise den Zusammenhang von Armut und Kriminalität aus der Sicht der Polizei erörterten, aus medizinischer Sicht über „Armut und Krankheit“ diskutierten oder von einem Dezernenten der Stadt Münster über Zusammenhänge zwischen Migration, Wohnen und Arbeit erfuhren. Viele Initiativen und Projekte ehrenamtlicher Mitarbeiter machten deutlich, wie bürgerschaftliches Engagement Stadtteilarbeit zum Positiven verändern kann.

In der abschließenden Podiumsdiskussion mit den Gästen auf dem Podium und den „Experten im Publikum“, moderiert von Herrn Paul Thelosen, der als ehemaliger Schulleiter (bis Sommer 2010) mit viel Beifall von den Schülern begrüßt wurde, diskutierte die große Runde nicht nur über Armut, sondern auch mit Betroffenen.

Arbeitsgruppen

1. Bildung und Armut - Gleiche Chancen für alle oder: „Bin ich abgehängt?“ Frau Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins (Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaften an der Kath.-Theol. Fak. der WWU) Herr Udo Hühn, KvG
2. Flucht und Flüchtlinge – Zusammenhänge von Migration, Wohnen und Arbeit Herr Jochen Köhnke (Dezernent für Migration und Interkulturelle Angelegenheiten, Stadt Münster Herr Franz-Bertram Voß, KvG
3. Arm und krank in einer reichen Stadt - Sprechstunde für Wohnungslose
und Migranten ohne Krankenversicherung
Frau Dr. Knievel-Frönd (Ärztin i.R.) Frau Katrin Nacke, KvG
4. „Macht Armut krank?“ - Erfahrungen aus der Praxis des Gesundheitsamtes Herr Dr. Axel Iseke (Arzt im Gesundheitsamt
der Stadt Münster)
Herr Frank Bennemann, KvG
5. „Chancen auf Bildung und Ausbildung - nur für wenige?“ - Berufsanfänger bei der BASF Herr Bernd-Jürgen May (Ausbildungsleiter
BASF-Coatings GmbH)
Frau Christa Chrobak, KvG
6. Angelmodde-Waldsiedlung / Osthuesheide – „Hier ist was los!“ Frau Britta Blum, Sozialpädagogin beim Diakonischen Werk, ehemalige Mitarbeiterin im Kinder- und Jugendzentrum Mobile, Osthuesheide Frau Simone Esslage, KvG
7. Die Problematik der Verschuldung   Frau Julia Bosse, KvG
8. „Eine Parkbank ist auch kein Zuhause!“ – Engagement für Menschen auf der Straße – Geistliches Zentrum „Gasthaus“, Recklinghausen Schwester Judith Kohorst, Bruder Thomas Wierling Bruder Konrad
Schneermann, Schulseelsorger am KvG
9. „Bericht von drinnen und draußen“ Herr Sigi Nasner (Redaktion "Draußen") und Herr Florian Löbel (ehemaliger Obdachloser), Frau Gisela Dücker Frau Anne Freimuth, KvG
10. „Armut = Problemkinder?“ – Münsteraner Armut aus der Sicht von Jugendeinrichtungen und Familienbetreuung Herr Johannes Medding und Herr Geeraedts (Begleiter von "Hartz IV-Familien" und
Jugendlichen bei der AWO bzw. im Jugendzentrum Handorf)
Herr Matthias Hagemann, KvG
11. "Heile Welt Drensteinfurt?“ - So sieht's in der Praxis des Sozialamts aus. Herr Reinhard Stephan, Stadt Drensteinfurt, Fachbereich Familien, Schulen, Sport, Soziales Herr Gregor Osthues, KvG
12. Armut und Kriminalität in Münster aus der Sicht der Polizei Herr Reinhard Zumdick, Polizei Münster, Kommissariat Vorbeugung Herr Franz-Josef Ruwe, KvG
13."Wie sieht's aus in der 'Schleife?'“ - Stadtteilarbeit mit Benachteiligten
in Kinderhaus
Frau Große-Frintrop (Ehrenamtliche Mitarbeiterin der Caritas St. Josef-Kinderhaus) Frau Hildegard Rickert, KvG
14. Im Blickpunkt Hiltrup – „Armut kann, muss aber keine Sackgasse sein!“ Herr Prof. (em.) Dr. Johannes Weinberg (Jugendhilfe Direkt e.V. Hiltrup), Herr Hans-Werner Kleindiek (1. Vorsitzender Jugendhilfe Direkt), Herr Andre Zietek (Mitarbeiter Jobcenter Münster, Hiltrup) Herr Hans-Peter Alkemeier-Bohlsen, KvG
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Die monatelange Vorbereitung des Studientags und die vielen Ideen von Eltern, Lehrern und Schülern der „Wertegruppe“ im Rahmen der Initiative Schulprofil haben sich gelohnt. Alle Beteiligten haben gespürt, dass wir „große individuelle und politische Aufmerksamkeit brauchen und mitgestalten müssen“ (Heimbach-Steins), wenn wir eine solidarische Gesellschaft wollen.

Hildegard Rickert, 21.2.2011

„... und raus bist du“


Münster-Hiltrup. Armut ist überall. In Münster leben 6,2 Prozent Menschen in Armut. Bundesweit sind es über sieben Prozent - ein Thema, vor dem keiner die Augen verschließen sollte. Das taten die 220 Schüler der Jahrgangsstufen 11 und 12 des Kardinal-von-Galen-Gymnasium (KvG) auch nicht. Beim Interdisziplinären Studientag setzten die Schüler sich mit dem Thema „... und raus bist du! - Armut inmitten der Wohlstandsgesellschaft“ auseinander.

Begonnen hatte die Aktion mit einem „Crashkurs“, wie Armut definiert ist und wie das System der Sozialversicherungen aufgebaut ist. Anschließend präsentierten Schüler des zwölften Jahrgangs ihren Film „Under the Bridge“, der das Leben eines Obdachlosen zeigt.

Dr. Marianne Heimbach-Steins vom Institut für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster konstruierte in ihrem Impulsreferat einen Zusammenhang zwischen Bildung und Armut. So erklärte sie, dass „Bildung ein Schlüssel gegen Armut“ ist. Zugleich zeigte sie die Folgen von Bildungsarmut auf.

Für gespitzte Ohren und viel Begeisterung sorgte Florian Löbel, ehemaliger Obdachloser, mit seinen Songs. Sehr authentisch rappte er über seine Gefühle während der Zeit als Obdachloser. Danach teilten sich die Schüler in 14 Arbeitsgruppen auf. Experten informierten die Schüler über ihre Arbeit und Erfahrungen mit „Armut“. So erzählte ein Polizist vom Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität. Ein e Ärztin berichtete über die Betreuung von Obdachlosen. Zudem erlangten die Schüler Einblick in die Arbeit von Ämtern, Jugendzentren und Vereinen.

Innerhalb der Gruppen wurden Thesen und Fragen formuliert, welche bei der anschließenden Podiumsdiskussion vorgestellt wurden. Paul Thelosen, bis 2010 Schulleiter des KvG, übernahm die Moderation der Podiumsdiskussion. Die Experten stellten sich den Fragen der Schüler. Warum greifen Jugendämter und Sozialsysteme nicht schon früher ein? Rutscht man mit geringer Bildung sofort in die Armut? Wie sehen Angebote zur Prävention in Münster aus? Sehr kontrovers diskutierten Schüler und Experten einzelne Problematiken und Lösungsansätze. Eine große Rolle wurde deutlich der Bildung zugeschrieben. Zudem wurde klar, dass es nur gelingen kann Armut zu bekämpfen, wenn Vorurteile und Berührungsängste abgebaut werden und sich jeder Einzelne seiner Verantwortung stellt.

Philipp Niemann, Westfälische Nachrichten 21.02.2011