Literaturtreff 2014/15


Literaturkreis zur Gegenwartsliteratur


Sehr interessante und oft hoch prämierte Bücher standen in Jahr 2014 auf der Lektüreliste des Literaturkreises.
Das Drei-Generationen-Portrait, das Eugen Ruge unter dem Titel „In Zeiten abnehmenden Lichts“ verfasst hat, greift das Genre der Familien-Saga auf, um die Veränderungen in den Einstellungen gegenüber dem sozialistischen Experimente „DDR“ darzustellen, die sich im Laufe von vierzig Jahren von euphorischem Optimismus in resignierte Ernüchterung verwandeln. Für viele Teilnehmer, die auf eigene Erfahrungen mit Gesellschaft und Politik der DDR zurückblicken können, bot der Roman Anknüpfungspunkte zur Identifikation und Anlässe für autobiografisches Erzählen.
Mit der Frage, mit welchem der beiden Männer, die in Markus Werners Roman „Am Hang“ in eine Dreiecksbeziehung verstrickt sind, sie gerne einen gemeinsamen Abend verbringen würden, stiegen die Teilnehmer in der nächsten Sitzung ins Gespräch ein. Spannende Begründungen für die unterschiedlichen Entscheidungen leiteten einen Gesprächsabend ein, der sich um die Themen Liebe und Treue, insbesondere um die Frage nach der Beständigkeit einer Beziehung angesichts sich verändernder Umstände, drehte.
Die Frage nach ungewollt schuldhafter Verstrickung stellt sich Philip Roth in seinem Roman „Nemesis“, in dem es um die unbeabsichtigte Übertragung von Kinderlähmung durch einen Lehrer an seine Schüler in den USA der 40er Jahre geht. Ausführlich erörterten die Gesprächspartner die Härte, die der Protagonist sich selbst gegenüber beweist, indem er sein eigenes Leben als Sühne begreift und es in bewusster Freudlosigkeit lebt. Sehr bereichernd war der Abend auch dadurch, dass die belesene Runde sich gegenseitig auf zahlreiche literarische Verweise und Anspielungen des Romans aufmerksam machen konnte.
Die Schuld-Thematik behandelt auch das vierte Buch des Lesejahres, Julian Barnes‘ Roman „Vom Ende einer Geschichte“. Ein mittlerweile pensionierter englischer Historiker entdeckt nach einem halben Jahrhundert, dass er möglicherweise als junger Mensch in den 60er Jahren seine ehemaligen Freunde zu Handlungen verleitet hat, deren katastrophale Folgen bis zur Gegenwart spürbar sind. Als Historiker stellt er sich die Frage nach der Narration, nach dem „roten Faden“, durch den eine Anzahl von Ereignissen zu einer Geschichte verwoben wird. Engagiert und kontrovers verlief die Auseinandersetzung mit diesem Roman, der das philosophische Problem der Identität eines Menschen im Laufe seines Lebens aufwirft und die Frage stellt, in welchem Maße ein reifer Mensch noch für die Taten verantwortlich ist, die er als ein viel jüngerer begangen hat.
Der vierteljährlich stattfindende Literaturkreis am KvG ist zu einer festen Einrichtung der Hiltruper Stadtteilkultur geworden und hat einen Kern von Mitgliedern, der seit vielen Jahren den Austausch über die Gegenwartsliteratur sucht. Erfreulicherweise stoßen immer wieder Leser zu der Runde hinzu, die sich durch die lebhaften Gespräche faszinieren lassen und ihrerseits den Kreis durch neue Ideen bereichern.
Moderiert wurden die Abende von Franz-Josef Lütke Schelhowe, Mechthild Theilmeier-Wahner und Barbara Wiegmann.
Mechthild Theilmeier-Wahner
01 02 03
Literaturkreis am 12. 11. 2014

20.05.
2015
Nirgendwo im Haus meines Vaters. Aus dem Französischen von Marlene Frucht.

Fatima liebt ihren Vater abgöttisch. Aber er befolgt streng die arabischen Bräuche. Ihre Mutter ist eine selbstbewusste Frau von europäischer Eleganz. Zwei Welten, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Dazwischen bahnt sich das Mädchen ihren eigenen Weg zur jungen Frau. Manchmal schmerzhaft und dann wieder voller Glück. Klarsichtig, poetisch und sehr emotional erzählt Assia Djebar ihre eigene Geschichte, die zugleich die Algeriens ist.
Assia Djebar

wurde 1936 unter dem Namen Fatima-Zohra Imalayène in Cherchell bei Algier geboren. Sie schreibt auf Französisch und ist eine der renommiertesten Autoren aus Algerien. Ihre Themen sind der algerische Freiheitskampf sowie die gesellschaftliche Stellung der arabischen Frau. Assia Djebar wurde neben vielen anderen Preisen 2000 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Sie ist die erste Autorin aus dem Maghreb, die 2005 in die Académie francaise gewählt wurde. Assia Djebar lebt und lehrt in New York.
11.02.
2015
Das Kind, das nicht fragte.

Benjamin Merz, Ethnologe und jüngstes Kind einer Familie mit fünf Söhnen, überwindet seine Hemmungen und entwickelt ungewohnte Fähigkeiten darin, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Während einer Forschungsreise auf Sizilien beginnen die Frauen des Städtchens Mandlica diese Fähigkeit zu entdecken und zu schätzen. Nach dem Roman »Die große Liebe« und »Die Erfindung des Lebens« hat Hanns-Josef Ortheil einen weiteren hellen und lichten Roman über das Leben im Süden Italiens und die Nähe, die dieser magische Raum zwischen Menschen ermöglicht, geschrieben.

Hanns-Josef Ortheil

wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, darunter dem Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck und zuletzt dem Stefan-Andres-Preis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt.
12.11.
2014
Vom Ende einer Geschichte. Aus dem Englischen von Gertraude Krueger.

Wie sicher ist Erinnerung, wie unveränderlich die eigene Vergangenheit? Tony Webster muss lernen, dass Geschehnisse, die lange zurückliegen und von denen er glaubte, sie nie mehr hinterfragen zu müssen, plötzlich in einem ganz neuen Licht erscheinen. Als Adrian Finn in die Klasse von Tony Webster kommt, schließen die beiden Jungen schnell Freundschaft. Sex und Bücher sind die Hauptthemen, mit denen sie sich befassen, und Tony hat das Gefühl, dass Adrian in allem etwas klüger ist als er. Auch später, nach der Schulzeit, bleiben die beiden in Kontakt. Bis die Freundschaft ein jähes Ende findet. Vierzig Jahre später, Tony hat eine Ehe, eine gütliche Trennung und eine Berufskarriere hinter sich, ist er mit sich im Reinen. Doch der Brief eines Anwalts, verbunden mit einer Erbschaft, erweckte plötzlich Zweifel an den vermeintlich sicheren Tatsachen der eigenen Biographie. Je mehr Tony erfährt, desto unsicherer scheint das Erlebte und desto unabsehbarer die Konsequenzen für seine Zukunft.
Julian Barnes,

1946 in Leicester, England, geboren, arbeitete nach dem Studium moderner Sprachen als Lexikograph, dann als Journalist. Von Barnes, der zahlreiche internationale Literaturpreise erhielt, liegt ein umfangreiches erzählerisches und essayistisches Werk vor […]. Für seinen Roman "Vom Ende einer Geschichte" wurde er mit dem Man Booker Award ausgezeichnet. Julian Barnes lebt in London.
20.08. 2014 Nemesis. Aus dem amerikanischen Englisch von Dirk van Gunsteren.

Eine schreckliche Epidemie bedroht im brütend heißen Sommer von 1944 die Einwohner von Newark: Polio. Der Sportlehrer Bucky Cantor kümmert sich hingebungsvoll um seine Schüler. Nach Ausbruch der Krankheit versucht er, in einer von Angst, Panik und Leid gezeichneten Situation die Ruhe zu bewahren, doch vergeblich.

"Nemesis" ist die Geschichte eines jungen Mannes in Amerika mit besten Absichten, der einen aussichtslosen Kampf führt. In seinem neuen Meisterwerk zeichnet Roth mit bestechender Präzision und großer Einfühlungsgabe jeden Schritt von Cantors Weg in die persönliche Katastrophe.
Philip Roth

ist Träger der wichtigsten US-amerikanischen Literaturpreise und hoch geehrt von der internationalen Schriftstellervereinigung P.E.N. Oft wird er in einem Atemzug mit Faulkner, Bellow und Dos Passos genannt. Der 1933 in Newark, New Jersey, geborene Autor mit europäisch-jüdischem Hintergrund schreibt unermüdlich, schonungslos und in drastischer Sprache über seine Landsleute. Das erste Buch mit Short Storys erschien 1959. Die folgenden Romane und Erzählungen über die jüdische Mittelklasse der Nachkriegszeit, über ihre Beziehungen, Zwänge und Neurosen, lösten oft Skandale aus.

Bis 1992 unterrichtete Roth an verschiedenen Universitäten. Liebe, Sexualität und Tod sind bis heute die Themen seines Werks. Philip Roth lebt - nach Stationen in Rom, Chicago, London und New York - in Connecticut.