Literaturtreff 2011/12


„Welche Bücher werden denn im Literaturkreis eigentlich gelesen?“ Diese Frage ist am einfachsten zu beantworten mit der Schilderung des Rituals, das sich jeweils an die Diskussionsrunden der Literaturabende anschließt: Nach Lust und Laune, auf der Basis von persönlichen Empfehlungen oder angeregt durch interessante Besprechungen oder Literaturpreise kommt allabendlich eine lange Vorschlagsliste zusammen, aus der in einem spannenden Abstimmungsverfahren das nächste „Buch des Abends“ ausgewählt wird - völlig basisdemokratisch und nur dem einzigen Prinzip verpflichtet, dass es sich um einen Text der Gegenwartsliteratur handeln muss. Umso erstaunlicher ist, dass sich in der Rückschau oft thematische Schwerpunkte feststellen lassen, die Anlass für die engagierten Auseinandersetzungen des Literaturkreises geboten haben.
So zeichnen Harriet Köhler in „Ostersonntag“ und Herman Koch in „Angerichtet“ eindringliche Bilder von Familien, die - bei aller Unterschiedlichkeit ihrer konkreten Lebenssituationen - durch eine fortschreitende Kommunikationslosigkeit gekennzeichnet sind, sodass nur noch die mit großer Anstrengung errichteten Fassaden den Anschein familiärer Strukturen aufrechterhalten. Wie diese Familien angesichts großer Probleme - der beginnenden Demenz des Vaters in dem einen, der Straffälligkeit der Söhne in dem anderen Fall - zunächst noch versuchen die Fassaden aufrechtzuerhalten, den immensen Belastungen aber letztlich nicht gewachsen sind und an ihnen zerbrechen, wird in beiden Texten sehr anschaulich und drastisch geschildert.
Die beiden anderen Romane des Schuljahres 2011/12 machen die Leser zu Beobachtern und mitunter auch zu Teilnehmern einer Flucht. So schildert Gerard Donovans Roman „Winter in Maine“ die Situation eines gesellschaftlichen Außenseiters, der sich in seiner Einsamkeit einer Hütte in den nordamerikanischen Wäldern eingerichtet hat und sie mit allen Mitteln zu verteidigen sucht. Nur die Flucht aus ihrer vertrauten Umgebung sieht auch eine Israelin in David Grossmans „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ als Lösung, als sie zu verdrängen versucht, dass ihr Sohn, der sich im Kriegseinsatz befindet, fallen könnte. Auf ihrer Wanderung durch die israelische Wüste lässt sie ihr von ständigem Verlust und von Kriegsangst geprägtes Leben Revue passieren. Dieser Text hat die Teilnehmer des Literaturkreises mit seiner Intensität in besonderer Weise berührt, da auch Grossman während des Schreibprozesses einen Sohn im Krieg verlor.
Moderiert wurden die Abende von Katrin Nacke, Mechthild Theilmeier und Barbara Wiegmann.
Mechthild Theilmeier-Wahner
30.5.
2012
Die dunklen Straßen von Kairo. Deutsch von Karolina Fell. Rowohlt 2012
Der Moloch am Nil frisst Menschen. Im Sudan war er Kriminalkommissar und ein glücklicher Mann. Bis er Ärger mit den Islamisten bekam und auf der Flucht seine Familie verlor. Nun lebt Makana in Kairo, in einem Hausboot auf dem Nil, und hält sich mühsam als Detektiv über Wasser. Makanas neuer Klient indes hat Geld, viel Geld. Saad Hanafi kann sich sogar einen eigenen Fußballclub leisten. Dessen wichtigster Spieler ist verschwunden. Hanafi will ihn unbedingt wiederhaben. Je länger Makana sucht, desto mehr Dreck und Leichen fördert er zutage, und desto mehr bringt er sich selbst in Gefahr.
Parker Bilal ist das Pseudonym, unter dem der britisch-sudanesische Autor Jamal Mahjoub als Kriminalautor schreibt. Geboren 1960 in London, wuchs Mahjoub in Khartum im Sudan auf, der Heimat seines Vaters. Für seine literarischen Werke hat er zahlreiche internationale Auszeichnungen und Preise erhalten. Nach vielen Jahren im dänischen Aarhus lebt Mahjoub nun in Barcelona.
29.2.
2012
Eine Frau flieht vor einer Nachricht. Deutsch von Anne Birkenhauer. Fischer 2011
Ora erzählt: von ihrer Liebe zu zwei Männern, von Wut und Zärtlichkeit, Verzweiflung und Leidenschaft und von ihrem Sohn Ofer, der sich freiwillig für einen Militäreinsatz im Westjordanland meldet. Seine Mutter hofft, das drohende Unglück zu bannen, indem sie ihrem Jugendfreund Avram, der im Sechstagekrieg selbst Soldat war, von Ofers Vorhaben berichtet. Und unerreichbar zu sein, falls das Schreckliche geschieht ... Autor und Friedensaktivist David Grossman spiegelt die großen Fragen in den kleinen Erlebnissen des Alltags. Er zeigt, wie in Israel das Schicksal der Menschen unauflöslich mit Politik verbunden ist. Ein mitreißendes, unvergessliches Buch und ein Protest gegen den Krieg.
Klappentext
David Grossman (* 25. Januar 1954 in Jerusalem) ist ein israelischer Schriftsteller und Friedensaktivist. Er ist Autor von Kinder- und Jugendbüchern, Romanen und Essays.
David Grossman lebt in Mevaseret Zion, einem Vorort Jerusalems. Er ist verheiratet und Vater dreier Kinder.
Grossman studierte Philosophie und Theater an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Anschließend arbeitete er als Korrespondent und Moderator für die israelische öffentlich-rechtliche Hörfunkanstalt Kol Israel. Zwischen 1970 und 1984 war er für eine populäre Kindersendung verantwortlich. Sein Jugendbuch Ein spätes Duell wurde hier zuerst als Hörspiel gesendet.
Grossman ist als politisch links gerichteter Friedensaktivist hervorgetreten. 1989 konnte er für sein Friedensengagement den Mount Zion Award entgegen nehmen. In mehreren Büchern hat er sich kritisch zum Nahostkonflikt geäußert. Er gehört zu den Unterzeichnern der Genfer Friedensinitiative von 2003. Im August 2006 forderte er gemeinsam mit Abraham B. Jehoshua und Amos Oz von Israels Regierungschef Ehud Olmert ein sofortiges Ende der Kämpfe im Libanon. Wenige Tage später, am 12. August 2006, starb Grossmans zweiter Sohn Uri im Südlibanon, als sein Panzer von einer Panzerabwehrrakete getroffen wurde.
www.wikipedia.de
30.11.
2011
Winter in Maine. Deutsch von Thomas Gunkel. btb 2011
Der Winter in den Wäldern von Maine ist kalt und einsam. Bisher hat das Julius Winsome nicht gestört, er lebt schon lange allein, und er hat einen treuen Gefährten, seinen Pitbullterrier Hobbes. Als sein Hund eines Nachmittags offenbar absichtlich erschossen wird, bricht Julius’ Welt zusammen. Und er fasst einen erschreckenden Entschluss ...
Julius Winsome lebt zurückgezogen in einer Jagdhütte in den Wäldern von Maine. Der Winter steht vor der Tür, er ist allein, aber er hat die über dreitausend Bücher seines Vaters zur Gesellschaft und vor allem seinen Hund Hobbes, ein treuer und verspielter Pitbullterrier. Eines Nachmittags, als er gerade vor dem Feuer sitzt und liest, hört er einen Schuss.
Eigentlich nichts Besonderes, denn es ist gerade Jagdsaison. Dennoch wundert sich Winsome, weil der Schuss ganz in seiner Nähe gefallen ist, zu nahe. Als er vor die Tür geht, entdeckt er, dass Hobbes erschossen wurde – offenbar mit Absicht.
Der Verlust trifft Julius mit ungeahnter Wucht. Er denkt an all die anderen Verluste in seinem Leben: die Mutter, die er gar nicht kannte, weil sie bei seiner Geburt starb, den Vater, der nie wieder heiratete, der ihn allein großzog und ihm die Sprache Shakespeares beibrachte und jetzt auch schon zwanzig Jahre nicht mehr da ist, an Claire, die einzige Frau in seinem Leben, die ihn einen Sommer lang liebte und dann wieder verschwand. Und jetzt Hobbes, sein letzter wahrer Freund. Am nächsten Tag holt er das Gewehr seines Großvaters aus der Scheune und zieht los, um seinen Hund zu rächen. Er macht Jagd auf die Jäger. Und obwohl diese Rache ebenso sinnlos ist wie die Tat, die ihr zugrundeliegt, verstehen wir diesen einsamen, verzweifelten Mörder, werden seine Komplizen in Eis und Schnee.
"Kann man sich für den Verlust der vollkommenen Liebe rächen? Eine erschreckende und zugleich herzzerreißende Antwort gibt dieser meisterhafte Roman."
Nuala O'Faolain
Gerard Donovan (* 16. Mai 1959 in Wexford, County Wexford) ist ein irischer Schriftsteller, dessen Roman „Winter in Maine“ 2008 von der Zeitung The Guardian zum „Buch des Jahres 2008“ gekürt wurde.
Nach Kindheit und Jugend in Galway studierte Donovan in Irland Philosophie und Germanistik. Nach seinem Abschluss zog er nach Deutschland, wo er zuerst in einer Käsefabrik arbeitete und dann an der Technischen Universität Hannover beschäftigt war. Er kehrte nach einiger Zeit Anfang der 1980er-Jahre nach Irland zurück und studierte in dessen Hauptstadt Dublin sieben Jahre lang die klassische Gitarre. In der Folgezeit verdiente er sich als Musiker mit Schwerpunkt Johann Sebastian Bach etwas Geld. An der Johns Hopkins University in Baltimore legte er in den 1990er-Jahren den Master ab. Seitdem lehrt er an einem College in Long Island.
Anfang der 1990er-Jahre begann er auch seine literarischen Arbeiten und veröffentlichte den ersten Gedichtband „Columbus Rides Again“. Zudem publizierte er verschiedene Kurzgeschichten. Sein erster Roman „Schopenhauer's Telescope“ erschien 2003 in Englisch. Mit seinen Brüdern nahm er am „Marathon des Sables“ in Marokko teil. Heute lebt er in New York City.
www.wikipedia.de
7.9.
2011
Ostersonntag. btb 2008
Ostern steht vor der Tür - das Fest der Liebe und des Friedens. Für die Familie Bargfeld - Vater, Mutter, Tochter, Sohn - ist es wie jedes Jahr ein Pflichttermin und ein Muss, dass man den Ostersonntag zusammen verbringt, auch wenn man sich in dieser Familie schon lange nichts mehr zu sagen hat und jeder dem anderen aus dem Weg zu gehen versucht.
Ulla und Heiner - er ein anerkannter Insektenforscher, der als angehender Akademiker die einstige Garderobiere in einer Nachtbar kennen lernte - haben sich schon lange auseinander gelebt. Er widmete seine Zeit der eigenen Karriere, sie lernte, was es heißt, eine Akademikergattin zu sein und wie man die Haute Cuisine buchstabiert. Seit kurzem jedoch ist Heiner pensioniert - und Tag für Tag versucht er hinter der morgendlichen Zeitung die grausame Wahrheit zu vertuschen, dass seine Welt sich in schleichender Demenz auflöst.
Ulla wiederum füllt die Leere ihrer Tage mit dem Kauf von Luxusartikeln an und mit heimlichen Affären, die ihr das Gefühl geben, trotz Falten und Brustkrebs noch immer attraktiv zu sein.
Die Kinder - Linda ist 36, Ferdinand 28 Jahre alt - sind schon lange aus dem Haus. Berlin war ihr beider Fluchtpunkt, gerade weit weg genug vom elterlichen München. Doch in Berlin leben sie wie auf zwei getrennten Planeten - und haben doch gemeinsam, dass sie auf ihre Weise beide im Leben scheitern. Denn während Linda ihren Körper wie eine Maschine mit Drogen zu Hochleistung animiert und tagtäglich ihre Verachtung für die eigenen Erzeuger in Form von bissigen Zeitungskolumnen ausspeit, treibt Ferdinand als Langzeitstudent ziellos von einer Beziehung zur anderen, immer auf der Suche nach einer Geborgenheit, die er sich selbst nicht zu geben vermag. www.dradio.de
Harriet Köhler (* 5. Mai 1977) ist eine deutsche Schriftstellerin.
Köhler studierte Kunstgeschichte und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München, während ihres Studiums besuchte sie 2001 einen Lehrgang für Kriegsberichterstatter der Bundeswehr. Danach arbeitete Köhler als freie Autorin unter anderem für Die Zeit, den Tagesspiegel, GQ, Neon, den Zündfunk des Bayerischen Rundfunks und den Musiksender MTV. 2007 erschien ihr Roman Ostersonntag, der in einer Dramenfassung im gleichen Jahr auch am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt wurde.
Köhler lebt in Berlin. www.wikipedia.de