Paul Thelosen (r.) dankte zum zehnjährigen Bestehen des Literaturkreises Gesprächsleiter Fritz Vorspel (2.v.l.), Organisator Franz-Josef Lütke Schelhowe (3.v.l.) und dem ehemaligen Gesprächsleiter Alfons Böcker (5.v.l.). Foto: -raf

Literaturtreff 2003/04


Der harte Kern hat zehn Jahre durchgehalten

Literaturkreis am Kardinal-von-Galen-Gymnasium

Münster-Hiltrup. Das literarische Quartett ist schon lange tot - aber der Hiltruper Literaturkreis lebt munter weiter. 40 Bücher wurden in den vergangenen zehn Jahren von der illustren Runde aus Eltern und Lehrern des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums gelesen und besprochen. Dieses in doppelter Hinsicht runde Jubiläum nutzten die Mitglieder des Literaturkreises, um jetzt im Anschluss an die 40. Sitzung zurück zu blicken und ein wenig zu feiern.
Die Geburtsstunde des Literaturkreises schlug 1993 mit der Erweiterung der Schülerbücherei. Im Rahmen eines Kulturprogramms zur Neugestaltung der Räumlichkeiten berichtete der mittlerweile pensionierte Deutschlehrer Alfons Böcker über seine Leseerfahrungen. Aus diesem Abend entwickelte sein Kollege Franz-Josef Lütke Schelhowe die Idee eines Literaturkreises, die von Böcker begeistert aufgenommen wurde.
Unter Alfons Böcker als Gesprächsleiter und Lütke Schelhowe als Organisator startete der Offene Literaturkreis des KvG Anfang Mai 1993 seine Gesprächsabende mit der Besprechung des Buches „Traumpfade“ von Bruce Chatwin. Es folgten Tony Hillermans Thriller „Wer die Vergangenheit stiehlt“ und Cees Notebooms moderner Klassiker „Rituale“. Viermal pro Jahr trifft sich der Kreis, um über Literatur zu diskutieren. 1999 übernahm dann Fritz Vorspel die Gesprächsleitung. „Der harte Kern hat zehn Jahre durchgehalten. Ein Wechsel findet nur an den Rändern statt“, beschreibt Lütke Schelhowe die Situation der Literaturgruppe. Als „intellektuell gebildet, lebenserfahren und belesen“ beschreibt er die Mitglieder des Zirkels, der sich aus Eltern und Lehrern zusammensetzt. „Schüler bleiben leider eine Utopie“, bedauert der Organisationsleiter. Betont wird der offene Charakter des Literaturkreises, an dem jederzeit neue Mitglieder teilnehmen können.
Die Auswahl der zu besprechenden Bücher erfolgt jeweils im Anschluss an die Sitzungen. Der Schwerpunkt liegt auf moderner Literatur aus der Zeit nach 1945. Natürlich sollten die Titel literarisch anspruchsvoll sein. Die Auswahl bleibt dabei nicht auf den deutschen Sprachraum begrenzt. Neben zahlreichen Büchern englisch- und spanischsprachiger Autoren wurden auch zwei Werke japanischer Schriftsteller besprochen. In der nächsten Sitzung am 3. Dezember wird der Roman „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Immanuel Schmitt thematisiert.
„Gerade an einer Schule ist das Lesen als Vorbildfunktion für die Jugend sehr wichtig“, erklärte Franz-Josef Lütke Schelhowe. Dank für zehn Jahre Literaturkreis am KvG sagte deshalb auch der Schulleiter Paul Thelosen. Er hob noch einmal die große Bandbreite von modernen Autoren bis hin zu Klassikern wie der gerade besprochenen Virginia Woolf hervor. Ihr 1925 erschienener Roman „Mrs. Dalloway“, in dem sie ein Psychogramm der englischen Gesellschaft entwirft, gilt als Meilenstein der Literaturgeschichte. Innerhalb des Kreises entwickelte sich eine lebhafte Diskussion der unterschiedlichen Positionen. Gelobt wurde die sensible Darstellungsweise. Aber die schwierige Materie war nicht jedermanns Lektüre, oder wie der Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki zu sagen pflegte: „Das ist große Literatur.“
raf, Westfälische Nachrichten 27. 09. 2003
5.5.
2004
Der menschliche Makel. Deutsch von Dirk van Gunsteren. Rowohlt 2003
Coleman Silk, Professor an einer noblen Ostküsten-Universität, wird wegen einer unbedeutenden Äußerung als Rassist abgestempelt. Eine glanzvolle Karriere endet abrupt. Jahre später holt die Liebesaffäre mit einer sehr viel jüngeren Frau den gebrochenen Mann ins Leben zurück Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer. Eine Hexenjagd beginnt, die tragisch endet, und ein unheilvolles Geheimnis tritt zutage, das Coleman Silk über fünfzig Jahre gehütet hatte.
Philip Roth (* 19. März 1933 in Newark, New Jersey) ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. [...]
Roth stammt aus einer jüdischen Familie. Seine Großeltern, die aus Osteuropa emigrierten, sprachen Jiddisch. Roth selbst besuchte die jüdische Weequahic High School und studierte 1950–1951 an der Rutgers University. 1954 erwarb er an der Bucknell University in Lewisburg/ Pennsylvania den Bachelor of Arts in Englisch, graduierte ein Jahr darauf in Chicago zum Master of Arts und erhielt die Lehrerlaubnis. 1955–1956 diente er in der Armee, anschließend war er von 1956–1958 Dozent für Englische Literatur an der University of Chicago. 1959/1960 war er Guggenheim-Stipendiat, danach lehrte er bis 1962 an der University of Iowa Creative Writing. Als „Writer-in-residence“ verbrachte er die Jahre 1962 bis 1980 erst in Princeton, dann an der University of Pennsylvania. Ab 1989 nahm Roth eine Dozententätigkeit für Creative Writing am Hunter College in New York wahr.
Roths Ehe mit Margaret Martinson hielt von 1959–1963; 1968 starb Martinson bei einem Autounfall. Von 1975 an lebte er mit Claire Bloom, einer britischen Schauspielerin, die vor allem durch ihre Rolle in Charlie Chaplins Limelight bekannt wurde. 1990 heirateten Roth und Bloom, 1994 wurde diese Ehe geschieden. www.wikipedia.de
4.2.
2004
Der Junge. Deutsch von Reinhild Böhnke. Fischer 2003
Handlungsort der „afrikanischen Kindheit“ ist ein ödes Provinznest nördlich von Kapstadt. Der Vater ist an der Seele verletzt aus dem Krieg zurückgekehrt und gerät immer mehr auf Abwege. Der sensible Junge fühlt sich umso stärker zur Mutter hingezogen, die durch ihren Sohn eigene Probleme kompensiert, so dass dieser „ein Leben gebeugt unter der Schuldenlast der Liebe“ führt. Freunde und Schule bringen wenig Verständnis für das Anderssein des durchaus ehrgeizigen Außenseiters auf, in dem sich schon bald ein Schrftsteller ankündigt. Die Kindheit wird zudem überschattet von dem spannungsreichen Nebeneinander verschiedener ethnischer Gruppen. Flucht aus der häuslichen Tristesse bietet die Ferienfreizeit auf der Farm des Onkels, wo sich noch etwas vom „Geist der ersten Siedler“ erhalten hat.
John Maxwell Coetzee (* 9. Februar 1940 in Kapstadt) ist ein südafrikanischer Schriftsteller.[...] Coetzee hat niederländische Wurzeln, wuchs jedoch in einer englischsprachigen Familie auf. [...]
J. M. Coetzee studierte an der Universität Kapstadt Englisch und absolvierte parallel dazu ein zweites Hauptstudium in Mathematik. [...] Mit einer Arbeit über Ford Madox Ford erwarb er 1963 den M.A.-Grad in Englisch der Universität Kapstadt. Im gleichen Jahr heiratete er Philippa Jubber (1939–1991), mit der er zwei Kinder [...] hatte. Die Ehe wurde 1980 geschieden.
1965 nahm Coetzee im Rahmen des Fulbright-Programms Doktoratsstudien in Englisch und Linguistik an der University of Texas at Austin auf, wo er 1969 aufgrund einer Computeranalyse des Stils der frühen Prosa Samuel Becketts zum PhD promoviert wurde. Daran schloss sich eine Lehrtätigkeit an der State University of New York at Buffalo. 1972 wurde sein Antrag auf eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in den Vereinigten Staaten abgelehnt, nachdem er sich im März 1970 an Protesten gegen den Vietnamkrieg beteiligt hatte [...] Daraufhin kehrte die Familie nach Südafrika zurück, wo Coetzee einen Lehrauftrag für Englisch, Linguistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Kapstadt innehatte. 1984 erhielt er dort eine Professur. Daneben lehrte er wiederholt in den USA [...]. Er lebt, arbeitet und lehrt seit 2002 in Adelaide in Australien. [...]
1974 veröffentlichte Coetzee sein erstes literarisches Werk, Dusklands, bestehend aus The Vietnam Project und The Narrative of Jacobus Coetzee. [...] 1980 erhielt Coetzee den Central News Agency Literary Award, den höchsten südafrikanischen Literaturpreis, für Warten auf die Barbaren. 1983 wurde er für Leben und Zeit des Michael K. mit dem Booker Prize, 1987 mit dem Jerusalempreis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft und 1999 für Schande erneut mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Er wurde des Weiteren mit dem Lannan Award for Fiction, The Irish Times International Fiction Prize, dem Jerusalem Prize und dem Commonwealth Literary Award ausgezeichnet und zum Chevalier dans l’Ordre des Arts et des Lettres ernannt. 2003 erhielt Coetzee den Nobelpreis für Literatur. www.wikipedia.de
3.12.
2003
Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran. Deutsch von Annette und Paul Bäcker. Fischer 2001
Moses ist elf, als er sein Sparschwein schlachtet, um mit den Ersparnissen bei einer Prostituierten erste sexuelle Erfahrungen zu gewinnen. Er flieht vor seinem öden Zuhause: Mutter und Bruder gibt es nicht mehr, der Vater verliert sich in düsteren Erinnerungen an die im Holocaust ausgelöschte Familie. Moses findet einen Ersatzvater in Monsieur Ibrahim, der mitten im jüdischen Viertel von Paris einen typischen arabischen Laden betreibt. Der Händler erklärt Moses Gott und die Welt auf eine einfache, einleuchtende, vor allem aber sehr menschliche Weise. Als Monsieur Ibrahim stirbt, übernimmt sein gelehriger Schüler sein Geschäft.
Mit Humor, Charme und Weisheit präsentiert der hier zu Lande bisher unbekannte französische Autor eine schöne Parabel über das friedvolle Neben- und Miteinander der Religionen und Kulturen.
Eric-Emmanuel Schmitt wurde am 28. März 1960 in Sainte-Foy-lès-Lyon bei Lyon geboren. Von 1980 bis 1985 studierte er an der École normale supérieure in Paris. Er promovierte über "Diderot ou la philosophie de la séduction".
Mit dem Theaterstück "La Nuit de Valognes" begann Eric-Emmanuel Schmitt 1991 eine Karriere als Bühnenautor, und zwei Jahre später gab er seine Stelle als außerordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Savoie auf, um sich ganz dem Schreiben widmen zu können. Sein Debütroman "Die Schule der Egoisten" erschien 1995. Eric-Emmanuel Schmitt übertrug auch das Libretto der Oper "Die Hochzeit des Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart ins Französische (Uraufführung: Théâtre Impérial de Compiègne 1997). Bei der Filmkomödie "Odette Toulemonde" (2007) ist er für das Drehbuch und die Regie verantwortlich. Das gilt auch für die Verfilmung seiner Erzählung "Oskar und die Dame in Rosa".
Eric-Emmanuel Schmitt lebt in Brüssel und besitzt seit 2008 neben der französischen auch die belgische Staatsbürgerschaft. Dieter Wunderlich
24.9.
2003
Mrs. Dalloway. Deutsch von Walter Boehlich. Fischer 1997
Clarissa Dalloway, Gattin eines Parlamentsabgeordneten, gibt in ihrem Haus im vornehmen Londoner Stadtteil Westminster eine große Abendgesellschaft. Sie macht Besorgungen, trifft Vorbereitungen und empfängt ihre Gäste, darunter ihre Jugendfreundin Sally Seton, die jetzige Lady Rossiter.
Im Mittelpunkt des zeitlich parallel dazu verlaufenden Handlungsstrangs steht der nervenkranke Kriegsveteran Septimus Warren-Smith, der von Woolf als Doppelgänger Clarissas konzipiert wurde und der sich am Ende des Romans durch seinen Selbstmord der Einweisung in eine Nevenheilanstalt entzieht.
Das Geschehen wird fast ausschließlich durch die Reflexionen und Erinnerungen der Romanfiguren perspektivisch gebrochen vermittelt. Strukturiert wird der Roman durch die Glockenschläge des Big Ben, der das Motiv der verrinnenden Zeit versinnbildlicht, während die Gedanken und Empfindungen der Figuren durch Vergangenheit und Gegenwart gleiten.
Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 in London geboren und wuchs im großbürgerlichen Milieu des viktorianischen England auf. Ihr Leben lang litt sie unter wiederkehrenden psychischen Krisen. 1912 heiratete sie Leonard Woolf. Zusammen gründeten sie 1917 den Verlag ›The Hogarth Press‹. Ihr Haus war eines der Zentren der Künstler und Literaten der Bloomsbury Group. Am 28. März 1941 nahm Virginia Woolf sich, erneut bedroht von einer Verdunkelung ihres Gemüts, das Leben.
Ihre Romane, die zur Weltliteratur gehören, stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Mareel Proust.
“Mrs. Dalloway“ erschien 1925 und wurde auf Grund der neuen Darstellungstechniken zu einem Markstein der modernen Erzählkunst.