Literaturtreff 1999/2000


3.5.
2000
Schnee, der auf Zedern fällt. Deutsch von Christa Krüger. btb
Schauplatz der Handlung ist eine kleine Insel im Puget Sound, an der Nordwestküste der USA. [...]
Den Rahmen des Romans bildet eine Gerichtsverhandlung. Es ist das Jahr 1954 und der Lachsfischer Kabuo, japanischer Abstammung, ist des Mordes angeklagt. Er soll seinen früheren Freund Carl Heine umgebracht haben. Der Journalist Ishmael Chambers ist Beobachter und Berichterstatter des Prozeßverlaufs. Er kennt die beiden Hauptpersonen schon sein ganzes Leben.
Mit der heutigen Frau des Angeklagten verbindet ihn eine Jugendliebe, doch der Zweite Weltkrieg hat die ehemaligen Freunde auseinandergerissen. Die Japaner auf der Insel, die sich als Amerikaner fühlten und auf der Seite der Amerikaner in den Krieg ziehen wollten, wurden von diesen zurückgewiesen und in Internierungslager gebracht. Auch neun Jahre nach Kriegsende sind die damals geschlagenen Wunden noch nicht vernarbt.
David Guterson ist ein junger amerikanischer Autor, der gleich mit seinem ersten Roman einen Volltreffer gelandet hat.
David Guterson beschreibt das schwierige Verhältnis zwischen Amerikanern und Japanern mit sehr leisen Tönen, bedächtig, behutsam und informativ. Der Roman ist kein Reißer und verlangt das Zuhören, das genaue Hinhören. Das Erzähltempo gleicht den Schneeflocken, die langsam auf die Zedern außerhalb des Gerichtssaals herabgleiten. Manuela Haselberger, www.amazon.de
2.2.
2000
Die Stadt der Blinden. Deutsch von Ray-Güde Mertin. Rowohlt 1999
Ein namenloser Autofahrer erblindet von einer Sekunde auf die andere, während er an einer Ampel in einer ebenfalls namenlosen Großstadt wartet. Dem Zeitgenossen, der ihm behilflich ist, dann aber sein Auto entwendet, geschieht bald das gleiche. Der Augenarzt, der nun konsultiert wird, erblindet ebenso wie seine Patienten. Als das so genannte Weiße Übel epidemisch um sich greift, wird die Gruppe um den Arzt mit vielen anderen in einer ehemaligen Irrenanstalt interniert. Dabei ist die Frau des Arztes die einzige, die (bis zum Ende des Romans) sehen kann, dies aber zu verbergen sucht. Bei knapper Kost, ohne hygienische Einrichtungen oder irgendeine Betreuung versinken die Gefangenen im Chaos. Todesfälle häufen sich. Eine Gruppe von blinden Gewalttätern reißt die Macht an sich. [...]
Vielen Kritikern im In- und Ausland gilt Die Stadt der Blinden als Saramagos bester Roman. [...] In einer Krisen- und Prüfungssituation stehen das Verhalten aller Individuen und die sozialen Werte der Gemeinschaft auf dem Spiel. Ähnlich wie Albert R Camus in seinem Roman Die Pest (1947) legt auch Saramago nahe, dass es grundlegende menschliche Werte und Qualitäten gibt, die sich noch unter extremen Bedingungen bewähren. www.amazon.de
José Saramago wurde 1922 in Azinhaga in der portugiesischen Provinz Ribatejo geboren. [...] Bei seinen Eltern [...] hatte es sich um landlose Kleinbauern gehandelt. [...]. Den Besuch des Gymnasiums musste er 1936 [...] abbrechen, weil seine Eltern das Schulgeld nicht länger aufbringen konnten. [...] 1944 heiratete er die Malerin Ilda Reis. Drei Jahre später wurde seine Tochter Violante geboren, die Saramagos einziges Kind blieb. Den Lebensunterhalt für die Familie verdiente er nacheinander als technischer Zeichner, Behördenangestellter, Verlagsmitarbeiter, Übersetzer, Journalist und Literaturkritiker. Im Alter von 47 Jahren schloss er sich der unter Salazar und Caetano verbotenen Kommunistischen Partei Portugals an. Nach dem Scheitern seiner ersten Ehe, die 1970 geschieden wurde, lebte er bis 1986 mit der Schriftstellerin Isabel da Nóbrega zusammen. 1988 heiratete er die spanische Journalistin Pilar del Río, mit der er sich fünf Jahre später – nach dem Skandal um seinen Roman "Das Evangelium nach Jesus Christus" – auf die kanarische Insel Lanzarote zurückzog. [...] 1998 wurde José Saramago mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. [...]
José Saramago starb am 18. Juni 2010 in seinem Haus auf Lanzarote. Dieter Wunderlich
3.11.
1999
Choral am Ende der Reise. Deutsch von Jörg Scherzer. Fischer 1990
Erik Fosnes Hansen hat mit "Choral am Ende der Reise" einen Roman über die Titanic geschrieben, die 1912 mit etwa 1500 Menschen an Bord sank. In den sorgfältig recherchierten historischen Rahmen bettet er die fiktiven Lebenswege seiner sieben Protagonisten aus verschiedenen Ländern ein. Damit zeichnet er ein sozio-kulturelles Panorama Europas zu Beginn des 20. Jahrhunderts, einer Epoche, die geprägt ist von patriarchalischen Strukturen und Fortschrittsgläubigkeit. Die Havarie der Titanic wird bei Fosnes Hansen zum Symbol für den Untergang dieser Epoche.
Sieben Musiker aus verschiedenen Ländern finden sich auf der Titanic als Ensemble zusammen, um auf der Jungfernfahrt Ragtime, Märsche und Choräle für die Passagiere zu spielen. Jeden der Musiker führt ein besonderes Schicksal an Bord. Während das Schiff auf die Katastrophe zusteuert, werden ihre Geschichten beleuchtet. [...] Als auf dem sinkenden Schiff die Panik ausbricht, spielen die Musiker das Largo von Händel, bis auch sie bei dem Versuch, sich zu retten, getrennt werden. C. B., www.amazon.de
Erik Fosnes Hansen (* 6. Juni 1965 in New York) ist ein norwegischer Schriftsteller. [...] Seinen ersten Roman Falkenturm schrieb Fosnes Hansen im Alter von 18-20 Jahren [...]. Sein zweites Buch Choral am Ende der Reise über die Mitglieder der Titanic-Bordkapelle avancierte zum Bestseller und wurde 1990 mit einem der bedeutendsten norwegischen Literaturpreise, dem Riksmalsprisen, ausgezeichnet. www.wikipedia.de
1.9.
1999
Die Wahlverwandtschaften. Reclam 1986
Eduard, ein reicher Baron, lebt mit seiner Gattin Charlotte zurückgezogen in einem Schloss, das von einem großen Park umgeben ist. In zweiter Ehe haben die beiden Liebenden von einst endlich zueinander gefunden. Glücklich über ihre neue Lebenssituation widmen sie sich vornehmlich dem Garten und der Parkgestaltung. Diese Idylle wird gestört, als Eduard seinen Freund, den Hauptmann, auf das Anwesen einlädt. So lässt auch Charlotte ihre Nichte Ottilie herbeiholen, damit diese ihr Gesellschaft leistet. Bald schon fühlt sich Eduard zu Ottilie und Charlotte zum Hauptmann hingezogen. Eines Nachts schleicht Eduard heimlich durchs Schloss und gerät auf der Suche nach Ottilie - "eine sonderbare Verwechslung ging in seiner Seele vor" - ins Schlafgemach seiner Gemahlin. In seiner Vorstellung ist es jedoch Ottilie, die er in den Armen hält, indes Charlotte das Bild des Hauptmanns vorschwebt. Aus dieser Vereinigung geht ein Kind hervor.
Als der Abschied von Ottilie und dem Hauptmann droht, gesteht Eduard Ottilie seine Liebe. Der Hauptmann und Charlotte verständigen sich wortlos, ihrer gemeinsamen Liebe zu entsagen. Eduard hingegen kann seine Gefühle nicht unterdrücken und zieht aus Verzweiflung in den Krieg.
Das Kind, welches gleichermaßen Ottilie und dem Hauptmann, nicht aber seinen leiblichen Eltern ähnelt, befindet sich in der Obhut von Ottilie, als Eduard aus dem Krieg zurückkehrt. Eduard bedrängt sie erneut in unbändiger Art. Ottilie versucht auszuweichen, indem sie in einem Kahn über den See zurückrudert. Beim hastigen Einsteigen kentert das Boot jedoch und das Kind ertrinkt. Ottilie beschließt daraufhin, ihrer Liebe zu Eduard zu entsagen. Schließlich zieht sie sich zurück, spricht und isst nicht mehr, bis sie letztlich an Schwäche stirbt. Eduard ist zum Schluss lebensmüde, stirbt aber eines natürlichen Todes.
Erstmals erwähnt werden Die Wahlverwandtschaften von Goethe am 11. April 1808 in einem Tagebucheintrag. Ende Juli desselben Jahres hatte er eine Fassung mit 18 Kapiteln fertiggestellt. Diese blieb allerdings bis April des nächsten Jahres unbearbeitet. Am 9. Oktober 1809 lag schließlich der gesamte Roman [...] fertig gedruckt vor.
Der Roman, der oft als Goethes bester und zugleich als sein rätselhaftester bezeichnet wird, ist nicht genau einer literarischen Epoche zuordenbar. Einerseits findet man typische Elemente, die ihn zu einem Vertreter der Weimarer Klassik machen, wie beispielsweise die Anlage der Romanhandlung als naturwissenschaftliches Gleichnis; aber auch gegenläufige Tendenzen finden sich in ihm, denkt man etwa an die Figur der christlichen Märtyrerin, die am Ende des Romans steht. Das wörtlich verstandene Thema der "Wahlverwandtschaft", das aus der Chemie entlehnt wird, wo es das anziehende und abstoßende Verhalten von Naturelementen beschreibt, wird auf die Figuren im Roman übertragen. So stehen vor allem die menschlichen Neigungen im Zentrum des Romans. www.wikipedia.de