„Du bist frei“

Gottesdienst zum Aschermittwoch 2006

01 02
Mit großer Aufmerksamkeit zeichnet der kleine Schüler seinem Sowi-Lehrer ein Kreuz aus Asche auf die Stirn. Gegenüber tut eine Mitschülerin ihm gleich und zeichnet einem Mitschüler ein Aschekreuz. Die Asche haftet schwer am Finger, sie nimmt etwas zwischen Daumen und Zeigefinger. Behutsam zeichnet sie Längs- und Querstrich, etwas Asche rieselt auf die Nase und auf den Pullover. Dazu der Ausspruch: Du bist frei. Mehrfach wird diese Zusage im Raum gesagt. Lehrer und Schüler gleichermaßen. Überall dort, wo die sieben Edelstahlschalen weitergegeben werden. Immer wieder, leise flüsternd: Du bist frei. Bewegung und Leben kommt in die Reihen des Ovals, als die Schülerinnen und Schüler in den einzelnen Stufengottesdiensten das Aschekreuz empfangen und weitergeben. Leise Klaviermusik begleitet die einzelnen Rituale, bis das letzte „Du bist frei“ gesagt wird und die Ascheschalen auf die Podeste im Zentrum des Raumes zurückgestellt werden.

Zuvor haben die Schülerinnen und Schüler die Geschichte von der Taufe Jesu aus dem Markusevangelium, vorgetragen von Diakon Rainer Wirth, gehört. Marius Stelzer deutet den Zusammenhang von Aschekreuz und Zugehörigkeit zu Gott: In der antiken Sklavenhaltergesellschaft wurden oftmals dem Sklaven ein Brandsiegel auf die Stirn gebrannt. Damit sofort erkennbar war, zu welchem Sklavenherrn er gehörte. Das Brandmal blieb ein Leben lang. Es bedeutete also ein Leben lang Gefangenschaft.
03 04

Die frühen Christen – so eine Überlieferung -  haben die Art und Weise übernommen, den Sinn aber konsequent umgedreht: Das Zeichen des Kreuzes auf der Stirn zeigt ebenfalls eine lebenslängliche Zugehörigkeit: Du gehörst Gott. Und weil das so ist, bist du nicht länger gefangen, sondern du bist frei. Entscheide dich für die Freiheit und entwickle dich in ein freies, in seiner Freiheit stets bedrohtes Leben. Du entscheidest. Du kannst umkehren, dich hinwenden, dich orientieren. Die unbedingte Zusage Gottes ist da. In der Taufe, beim Abendritus kleinerer Kinder, in der Firmung, beim Aschekreuz.

Sieben weiße Stelen, darauf Ascheschalen und Kerzen. Eine achte Stele trägt das Evangelium. Im Oval angeordnet und dezent beleuchtet konzentrieren sie den Raum und die Gedanken der Schüler und Lehrer. Das Wort Gottes und die Asche stehen im Mittelpunkt, eingekreist vom Zuspruch „Du bist frei“, der durch die Reihen kursiert. Fast puristisch anmutend wird hier signalisiert: Der Spaß des Karnevals ist vorbei. Jetzt beginnt das Eigentliche, das Wesentliche, das Leben. Mit der Freiheit zur Umkehr, mit der Entscheidung für Freiheit. Mit dem Auftrag, diese Freiheit um Gottes Willen zu verteidigen.

Marius Stelzer