„Hört, hört, die Stiefel, sie trappen, sie trappen, sie trappen!“Das Musiktheater von Jacques Offenbach Bei einer Operette pflegt im Allgemeinen
der gebildete Musikliebhaber (und so manch ein Gymnasiallehrer ist
mit dabei) genau zu wissen, was ihn erwartet: Gefühlsduselei,
Verklärung der Liebe als einer „Himmelsmacht“, huldvoll
gekrönte Häupter, allerlei „tümliches“
Volk. Und jede Menge lockeres, harmloses Gesinde, das die Donau grüßt
oder das „singende und klingende“ Wien bejubelt. Eine
Operette – so denkt der gebildete Musikliebhaber – besingt
die gute alte Zeit, ist daher langweilig und fade! Und er wendet sich
mit Schaudern ab. Doch damit ist er nur einem weit verbreiteten Klischee aufgesessen, das wie alle Klischees der Unkenntnis entstammt. Schon in ihrer Entstehungszeit, Mitte des 19. Jahrhunderts, war die Operette alles andere als fade, war sie anzüglich, rasant und boshaft, nur langweilig war sie nicht. Und Jacques Offenbach setzte als Erster die Akzente. In seinen über 100 Bühnenwerken kam so gut wie keine gesellschaftliche Gruppierung, keine musikalische Gattung und kein literarisches Thema ungeschoren davon. Offenbachs Bühnenwerke spielten auf dem Mond (Raketenbruchlandung incl.), unter Kannibalen in der Südsee, in Südamerika oder China, in der antiken Vergangenheit oder in der Unterwelt. Keine fernen Welten aber waren es letztlich, die den Pariser Zuschauern auf der Bühne gezeigt wurden, sondern es war immer die eigene, verpackt in exotische Kostüme oder zeitlich entrückt. Offenbach entwickelte, zusammen mit seinen Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy ein sicheres Gespür dafür, was auf der Theaterbühne möglich war und was sich gleichzeitig verkaufen ließ. In den gehobenen Pariser Kreisen galt es in den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts als ausgesprochen chic, in Offenbachs Theater über sich selbst zu lachen. |
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Offenbachs Operette „Die Banditen“ ist sein letztes größeres Werk vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges, der das französische Kaiserreich und damit Offenbachs finanzielle Absicherung in sich zusammenbrechen ließ. In „Die Banditen“ zeigte Offenbach noch einmal, was er über Jahrzehnte hinweg gelernt hatte: ein Theaterpublikum auf höchstem Niveau zu verspotten und dieses Publikum gleichzeitig die Inszenierungen fördern und finanzieren zu lassen. Die „Banditen“ fegen alle Klischees vom Tisch, die bis heute manch eine Bühnen- oder Filmgeschichte prägen: das Klischee vom aufrecht für die Gerechtigkeit kämpfenden Outlaw in grüner Waldidylle oder vom feurigen Spanier, das Klischee von klug und umsichtig waltenden Regierungsvertretern und vom ehrlichen und einfachen Volk oder das Klischee vom aufopferungsvoll dienenden Soldaten. Die Soldaten in „Die Banditen“ präsentieren sich anders: als kindisch dahertrottende, ständig zu spät kommende Dumpfbacken: „Respekt, hier kommt´s Militär Und stellet die Sicherheit her. Doch trifft uns leider das Malheur: Wo wirklich was zu finden wär', Kommt's Militär, kommt's Militär, Zu spät daher, zu spät daher!“ Dass Jacques Offenbach es wagte, im Dezember 1869, nur wenige Monate vor dem Krieg, vor hochrangigen Militärvertretern im Publikum, Soldaten als
ständig zu spät kommende, aufgeblähte Pappkameraden vorzuführen, verrät einiges über die Sprengkraft seines Musiktheaters. Neun Monate nach
der Uraufführung von "Les Brigands" schlug das "wahre Leben" dann im Sinne Offenbachscher Militärverachtung zu: Die in der Pariser Oper im
Dezember 1869 anwesenden, sich köstlich amüsierenden französischen und auch preußischen Offiziere schlugen sich die Köpfe blutig in der Schlacht
von Sedan. |
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Wie man Erwartungshaltungen hintertreibt, das macht Falsacappa, der Anführer der Banditenrotte, vor: Er und seine Genossen schlüpfen unentwegt in neue Rollen und Kleider, führen ihre Umgebung ständig an der Nase herum. Und vor allem: Sie sind keine „edlen Wilden“, sie sind in Wirklichkeit ebenso raffgierig wie ihre Opfer. Am Schluss der Operette, als die Lage der Banditen aussichtslos erscheint und ihre Identität aufgeflogen ist, wird dem Zuschauer dann ein ebenso simples wie verblüffendes Happy End präsentiert: Der Herzog, in dessen Revier sie seit Jahren wildern, ernennt alle Banditen zu Beamten! „Ich möchte Situationen in Musik umsetzen und nicht Lied an Lied reihen", schrieb einmal Offenbach seinem Librettisten Halévy. „Ohne Situation wird die Musik absurd und langweilig für das Publikum." Weg also von der Opern-Revue italienischer Prägung und hin zur musikalischen Bühnengeschichte. Musikalisch eine spannende Geschichte zu erzählen, das konnte Offenbach wie kein anderer. Er, den es bereits als 14jährigen Teenager nach Paris verschlagen hatte, wuchs quasi auf der Bühne auf. Bereits in Köln hatte er als Kind seinen Vater bei zahlreichen Veranstaltungen als Musiker erlebt und nachdem er sein Violoncellostudium am Pariser Konservatorium abgeschlossen und sich in den Pariser Salons als Instrumentalist mehrere Jahre lang über Wasser gehalten hatte, wagte er es 1855 einen heruntergekommenen Veranstaltungsraum zum Musiktheater umzufunktionieren. Und dort, in den „Bouffes-Parisiens“, komponierte und inszenierte er Stück um Stück. Bereits in den ersten zwei Jahren kamen 22 musikalische Einakter auf die Bühne, die Offenbachs Namen schlagartig zu einer festen Größe im Pariser Kulturleben machte.
Offenbach kannte also, als er 1869 „Die
Banditen“ komponierte – mittlerweile war er in ein größeres
und besser ausgestattetes Theater umgezogen –, den Musiktheaterbetrieb
aus dem Effeff. Er wusste, wie man ein großes Publikum über
mehrere Stunden fesselt, wie man Unebenheiten im Libretto überbrückt
oder wie man das Publikum in falsche Sicherheit wiegt, um dann plötzlich
eine musikalische Finte zu schlagen und den verblüfften Zuhörer
wieder wachzurütteln. Und er kannte die Hörgewohnheiten
seiner Theaterbesucher. Paris, das seit Mitte des Jahrhunderts eine
Weltausstellung nach der anderen veranstaltete, besuchte in den 60er
und 70er Jahren eine Reihe illustrer Gäste aus aller Welt. Offenbach
sog die europäischen musikalischen Idiome begierig auf und verarbeitete
sie in seine Musik. In „Die Banditen“ ist es etwa der
Bolero, ein Modetanz aus Spanien, den er der spanischen Gesandtschaft
im zweiten Akt zuweist. Musikalisch ist es eher blass, was die spanische
Gesandtschaft da präsentiert: eine sich mechanisch im Kreis drehende,
melodisch und harmonisch anspruchslose Massenware.
„Granada, hellste aller Sterne, du Spaniens Glanz und schönste Zier! Zwei Wochen sind wir dir schon ferne, und Sehnsucht zieht uns hin zu dir.“ singen sie. Die Absicht, die spanische Hofkultur als verkrustet, arrogant und blutleer zu entlarven, wird offensichtlich. Auch die Hofgesellschaft
am Hofe zu Mantua kommt nicht ungeschoren davon: Offenbach lässt die italienischen Hofdamen zu Beginn des dritten Aktes eine melodisch
verschraubte und gekünstelte Melodie in hoher Tonlage trällern: Opernparodie pur. |
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Falsacappa wiederum schlüpft auch musikalisch in verschiedene Kleider: Gleich in seinem ersten Auftritt stimmt er, kostümiert als wandernder Eremit, eine Litanei an, die „der Tugend Dornenpfad“ besingt, dann wechselt er abrupt den Tonfall und präsentiert sich musikalisch als Räuberchef:
Offenbachs größte kompositorische Fähigkeit war es, rhythmisch und harmonisch prägnante Melodien zu komponieren, die sich rasch als etwas Unverwechselbares einprägen, immer untrennbar verbunden mit der Bühnenszene. Seine melodischen Linien scheinen beim ersten Hören sich oft als einfach gebaute Durchschnittsware zu entpuppen, doch der Eindruck täuscht: Sie sind nur scheinbar simpel gestrickt.
Offenbachs Meisterschaft, eine der Bühnenhandlung unverwechselbare Musik zu verpassen, zeigt auch im 21. Jahrhundert Wirkung. Die Proben der Inszenierung am Kardinal-von-Galen-Gymnasium zerstreuten schnell die Sorge, Operettenmusik von Jacques Offenbach sei nicht mit dem Hörprofil eines heutigen Schülers vereinbar.
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