Hinter den Kulissen

Impressionen und Beobachtungen während der Aufführungen vom 9. - 17. 3. 2005

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Verschönerungsaktionen
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Vom Wunsch, ein Bandit zu sein...


Meine Damen, meine Herren, Hand aufs Herz, wären Sie nicht auch gerne Räuber geworden, Räuberhauptmann respektive Räuberbraut? […]
Sie brauchen erst gar nicht zu widersprechen. Je heftiger Sie sich meine Unterstellungen verbitten, desto weniger glaubt man Ihnen. Sie müssen sich auch nicht schämen. Sie befinden sich in bester Gesellschaft. […]

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23 Unterschiedliche Charaktere - zum Beispiel eine Räubertochter mit Taschendiebstahl als Nebenjob 26
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Nehmen wir nur - weil wir ja gerade ein Schillerjahr haben - den gleichnamigen Klassiker, nehmen wir Friedrich Schiller. Der war nicht immer ein Klassiker und vermutlich wäre er nicht zum bekanntesten Dramatiker deutscher Sprache geworden, hätte er nicht einen handfesten Theaterskandal an den Beginn seiner schriftstellerischen Karriere setzen können. Dieser Knalleffekt, mit dem der junge Schiller auf den Brettern, die die Welt bedeuten, debütierte, war sein Erstlingswerk mit dem Titel - Sie ahnen es schon oder wissen es bereits - „Die Räuber“. In diesem Stück lässt der junge Dichter eine Horde wirrköpfiger Studenten, die anders nicht wissen, wie sie ihre Frustration an einer spießigen Welt abreagieren können, eine Räuberbande gründen - unter der Führung eines gewissen Karl Moor eines sympathischen, aber etwas liederlichen jungen Mannes, den sein Bruder („Franz heißt die Kanaille.“) beim senilen Vater aufs übelste verleumdet, um dem gehassten Bruder Karl sein Erbteil mitsamt der Braut, die auf den zarten Namen Amalie hört, abzuschleichen. Der (immer etwas überregte) junge Schiller hat sich so sehr ins Zeug gelegt, den erregenden Traum: Räuber sein! in die Wälder ziehen und mit Überfällen und anderen Gräueltaten die Mitwelt ärgern! auf die Bühne zu bannen, dass die jungen Männer im Publikum bei der Uraufführung in Mannheim in konvulsivische Zuckungen gerieten, wie glaubwürdige Augenzeugen berichten. Und warum soll man dann nicht auch glauben, dass die (immer zu eng geschnürten) jungen Damen reihenweise in Ohnmacht fielen. Sämtliche Riechfläschchen, die in Mannheim aufzutreiben waren, sollen nicht ausgereicht haben, die Demoiselles ins bewusste Leben zurückzuholen. Da nimmt es denn auch nicht wunder, dass die konvulsivischen jungen Herren den wie leblos daliegenden Damen das Mieder aufgeschnürt haben, um ihnen auf diese Weise Erleichterung zu verschaffen. Der eine oder andere junge Mann wird seiner Angebeteten auch den Fächer aus der schlaffen Hand genommen und dem halbentblößten Busen im aufgeschnürten Dekolletee seiner Geliebten heftig fächelnd frische Luft und Kühlung verschafft haben. Die letzten Details sind nicht mehr überliefert, es ist aber schwer, sie sich nicht vorzustellen, und ich habe sie nur deswegen so liebevoll ausgemalt, um plausibel zu machen, wie heftig die Vorstellung: Räuber sein! die Gemüter erregen kann. -Karl Moor blieb übrigens nicht der letzte Räuber auf europäischen Bühnen. Je mehr die bürgerliche Gesellschaft ihren Siegeszug antrat, je geordneter der Alltag wurde, je reglementierter die Karrieren verliefen, desto häufiger und zahlreicher tummelten sich in den Wäldern der Literatur die Räuber. […]

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Wilde Gestalten, abgekämpfte Soldaten und stolze Höflinge
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"Der Baum kommt!" Bühnenumbau nach dem ersten Akt
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Bleibt die Ratlosigkeit, der ich Sie aussetzen wollte. Aber ich werde Sie damit nicht allein lassen. Ich habe Ihnen einen Hoffnungsschimmer anzubieten, einen gleichzeitig amüsanten und diskussionswürdigen Beitrag für all die Fragen, die uns hier beschäftigen. Kommen Sie in unser Stück, die Aufführung der Opera buffa mit dem Titel „Banditen“. […] Wie der Titel schon sagt, geht es exakt um das Thema, das uns hier in Atem hält. Aber es ist keine Tragödie, wie Schiller sie mit den „Räubern“ schrieb, sondern, wie erwähnt, eine Opera buffa. Das lässt hoffen. Denn eine Opera buffa darf zwar auch Probleme aufwerfen, wie Tragödien das tun, aber sie muss sich darüber hinaus ein glückliches Ende einfallen lassen. Die Musik ist von Jacques Offenbach. Den werden Sie kennen. (Orpheus in der Unterwelt, Die schöne Helena, Pariser Leben, Die Herzogin von Gerolstein, Hoffmanns Erzählungen, um einige seiner Werke zu nennen.) Der Text ist von Ludovic Halévy. Ob Sie den kennen, weiß ich nicht. Halévy hat eine Reihe Libretti für Offenbach geschrieben, darunter viele der ganz großen Erfolge. Aber er war nicht nur Script-Writer der leichten Muse, sondern er war auch ein erfolgreicher Ministerialbeamter (u. a. im Außenministerium) mit glänzenden Beziehungen zu den Spitzen der Politik. Das lässt wieder hoffen. Denn sein Beruf weist Halévy als Mann mit Sachverstand für schwierige Problemlagen und gleichzeitig als Diplomaten aus. Diplomaten sind Kenner des Lebens und Befürworter des Lebens. Sie verabscheuen Katastrophen und suchen stattdessen Lösungen, machbare, elegante Lösungen; denn das Leben muss und soll weitergehen, dafür wollen sie sorgen. Das Leben war damals, in der Zeit des Zweiten Kaiserreichs in Frankreich Napoleons III., in einem rasanten Umbruch begriffen, der auch schon die Jahrzehnte davor ergriffen hatte. Verändert hatte sich besonders die Art des Geldverdienens. Auf der einen Seite, wo sich die riesigen Vermögen bildeten, verdiente man sein Geld mit der Gründung von Aktiengesellschaften und (noch mehr Geld) mit dem Konkurs von Aktiengesellschaften, mit Finanzierungen großen Stils (mit oder ohne Staatsbeteiligung), mit feindlichen Übernahmen (die gab es schon, auch wenn sie noch nicht so hießen), mit dem Betrug an Kleinanlegern. Sie sehen, was heute passiert, ist nicht so neu, wie man uns manchmal glauben machen will. Wer in der Politik über eine gute Position und Einfluss verfügte, wollte mitverdienen und ließ sich bezahlen. Sie sehen, was heute passiert ... usw. Auf der anderen Seite entstand das Elend der „Armeen“ der Fabrikarbeiterschaft und die noch größere Misere der Arbeitslosen, der „industriellen Reservearmee“, wie Karl Marx sie nannte. Ein Unterschied zu heute: Man musste den Sozialstaat nicht abbauen, es gab ihn noch nicht in den entlegeneren (meist südlichen) Zonen West- und Mitteleuropas, wo die Kontrolle, die Staatsmacht ausübte, schwächer war, es vermehrte sich, als Konsequenz der Armut, das Banditenwesen rapide.

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Lesen und Schreiben beruhigt - Musizieren und Kartenspielen ebenfalls. Und Küchendienst für spanische Adlige - das gibt es nur am KvG!
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Während in den gärenden Quartieren der Armut allmählich unter finsteren Parolen wie: „Eigentum ist Diebstahl“, oder: „Expropriation der Expropriateure“ die Idee einer großen Revolution Gestalt annahm, feierte auf der helleren, schöneren Seite des Lebens die Zeit sich selber mit großen Weltausstellungen, die in Paris und anderen Metropolen die Errungenschaften des technischen Fortschritts stolz zur Schau stellten. Der Reichtum feierte sich zynisch: „Enrichessez-vous!“, hieß freimütig und unverblümt das Motto einer der Weltausstellungen in Paris. Die Zeit war ungeheuer widersprüchlich, aber kaum einer konnte sich der Faszination der Modernität entziehen. Das elegante großstädtische Leben entfaltete wie auf einer offenen Bühne einen ungeheueren Luxus und ließ die großstädtischen Massen sozusagen als Zaungäste daran teilhaben. Die Kunst, die vom Überfluss lebt, entwickelte neue Formen, um ein neues, größeres, eben großstädtisches Publikum zu erreichen. Es ist die Zeit der Entstehung des Boulevardtheaters und der Operette. Man hat die Moral dieser neueren, populäreren Formen der Kunst (oder - je nach Standpunkt - fehlende Moral) frivol genannt. Und das ist die neue, populäre Kunst wohl auch: frivol. Aber darin spiegelt sich die alle moralische Werte nivellierende Macht des Geldes in dieser Epoche. (Auf die Gefahr hin, Sie zu ermüden, ich wiederhole: Sie sehen also, was heute passiert... usw.) Wenn letztlich Gewinnaussichten und Kreditwürdigkeit über den Wert von Personen und ihren Unternehmungen entscheiden, ist es da nicht konsequent, die Kriterien auch anzulegen, wenn es gilt, Räuberbanden zu bewerten? Ist es effizient gedacht, kann man im Sinne des damaligen Zeitgeistes fragen, Leuten mit Zukunft aus dieser Branche nun das Fallbeil als Perspektive in Aussicht zu stellen? Das sind doch Fragen, die einem Diplomaten gut anstehen, der seinen Beruf ernst nimmt und gerade deswegen den Ungereimtheiten des Lebens heiter gegenübersteht. Denn Heiterkeit - man darf sie wie gesagt frivol nennen - ist es, was diese neue Kunst charakterisiert, die - als eine weniger ernste Form der Satire - die Fragwürdigkeiten des Lebens belächelt, statt sie zu verurteilen. So eine Kunst ist selber fragwürdig, aber immerhin eine Entscheidung für das Leben und nicht gegen es. Lebensbejahende Heiterkeit ist es denn auch, was Offenbachs Musik auszeichnet. Zuweilen steigert sich diese Musik in eine rauschhafte Begeisterung für das Leben hinein [...]

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Unstandesgemäßes Fast-Food für hochgestellte Hofchargen
"Was das ist, weiß ich auch nicht..." - Technik von gestern und heute
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Korrumpierbar sind wir alle - dieses Eingeständnis entlockt uns Offenbachs Musik - und wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nichts Schlechtes tun - oder nur ein bisschen. Aber müssen wir uns dafür hassen? Nein, wir dürfen über unsere Schwächen lachen! Vielleicht sollten wir uns auch ein bisschen bessern wollen, das wäre doch schon etwas. Sollte uns auch das nicht ganz gelingen, so wollen wir uns nicht andauernd dafür schämen, dass wir unsere räuberischen Wünsche mitgenommen haben in die Chefetagen. Und dass unsere Sehnsüchte nach dem räuberischen Kick auch unterm hygienischen Ärztekittel ihr kriminell infizierendes Unwesen treiben, muss und soll uns nicht ein Leben lang kratzen. Wenn wir die korrupte Welt schon nicht besser machen können, so wollen wir uns im korrumpierten Leben wenigstens wohl fühlen. Dass Ihnen wohl dabei wird, dafür sorgt das Gespann Halévy - Offenbach, glauben Sie mir! - sofern Sie nur etwas über sich selbst lachen können. Der Räuber in Ihnen bekommt eine anständige Perspektive, sofern Sie nur zu akzeptieren bereit sind, dass auch die Respektsperson, die Sie gerne sind, nicht über allen Zweifel erhaben ist. Karl Moor wird nicht geköpft, sondern ...? Aber raten Sie selbst, ich darf nicht mehr verraten. Also kommen Sie, meine Dame, meine Herren, und lassen Sie sich verleiten zur großen Lebensbejahung! […]
Alfred Vollmer, Programmheft zur KvG-Aufführung
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Ordnung im Chaos: Fleißige Helferinnen in der Requisitenkammer - "Wem gehört dieser Mantel?"
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Die Initiatoren: Ehepaar Richter, Johannes Dolezich und Karsten Goerke behalten stets die Übersicht
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