1990
"Sagt es allen weiter" 1990
1996
"Der Clown sagte nein" 1996

Im Jahr 200 nach Schiller - ein Plädoyer für Schul(Musik)Theater


„…um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Fünfzehnter Brief)

Bescheidenheit, sagt man, sei eine Tugend, die dem Menschen gut zu Gesicht stehe, und der Verfasser dieser Zeilen möchte, was seine Person angeht, sich diesem Richtspruch des guten Geschmacks und der guten Sitten auch gerne unterwerfen; aber auf des Verf.s eigene bescheidene Meinung kommt es hier gar nicht an. Es geht hier um Größeres als um ihn, es geht um die Vielen, deren Sprachrohr er sein soll, und es geht um das Große, das diese Vielen in aller Bescheidenheit auf die Beine oder besser: auf die Bretter stellen. Bescheidenheit überkommt diese Vielen sowieso, wenn sie sich - auf dem Terrain, auf dem sie die ersten Schritte tun, den Brettern nämlich, die die Welt bedeuten - mit den Großen vergleichen, die ihnen hier mit Riesenschritten vorausgegangen sind. Ganz und gar nicht bescheiden aber dürfen diese Vielen mit dem Produkt umgehen, das sie erstellen.

Dem wäre es total unangemessen, wollte man es mucksmäuschenstill dem Dunkel und dem Vergessen überantworten, dieses Produkt will leuchten und gesehen werden, es will laut und gehört, ja mehr noch, es will bejubelt und beklatscht werden. Wir sprechen vom Theater.

2001
"Glückliche Reise" 2001
2003
"Nosferatu" 2003
Dieses Theater, von dem die Rede sein soll, ist in jüngerer Zeit mit zwei größeren Aufführungen an die schulische Öffentlichkeit des KvG getreten, im laufenden Jahr mit den „Banditen“, der Bearbeitung einer Opera buffa von Offenbach/Halevy, und zwei Jahre vorher mit „Nosferatu“, einer Produktion, die - vom Text über die Musik, die Kulisse, die Ausstattung bis zur Regie - ganz aus dem Eigenen schöpfte. Beide Stücke verbinden Sprechtheater mit Musik und Gesang. In beiden Fällen handelt es sich um ein Schüler-Lehrer-Laientheater, charakteristischerweise behaftet mit den Unzulänglichkeiten, aber auch mit dem Charme und der Attraktivität dieses Genres. Skeptiker, und die waren in der Überzahl, sagten dem Projekt ein grandioses Scheitern voraus. Aber siehe! - was nur die Standhaftesten der Initiatoren zu hoffen wagten, die meisten aber kaum zu glauben sich trauten, wurde Ereignis: Beide Stücke, sowohl die Bearbeitung des Vampirstoffs als auch die Offenbachadaption wurden große Erfolge, keine Achtungs-, sondern Publikumserfolge, von vollen Sälen beklatscht und begeistert gefeiert. Während die erste Aufführung einer sich die Augen reibenden Öffentlichkeit zeigte, dass das Wunder möglich war, beweist die zweite, dass es wiederholbar ist. Dieser Beweis, den das Theaterprojekt des laufenden Jahres, im wahrsten Sinne des Wortes coram publico, erbracht hat, ist fast noch wichtiger als der Anfangserfolg. Denn jetzt können wir, ohne vermessen zu scheinen, der Hoffnung Ausdruck geben, am KvG werde sich eine (neue) Tradition begründen lassen, die Tradition eines Musiktheaters. Jetzt können Schüler-, Lehrer- und Elternschaft des KvG es sich mit Fug und Recht zutrauen, in Zukunft genauso schöne und vitale Aufführungen dieses Genres (oder noch schönere) auf die Bühne zu bringen - in regelmäßigen Abständen von, sagen wir mal, zwei bis drei Jahren, wenn man will.

- Wenn man will! - Und es gibt keinen Grund, es nicht zu wollen. Vielmehr ist es ein Ziel aufs Innigste zu wünschen. Dies zu begründen erübrigt sich fast, so viele und einleuchtende Gründe drängen sich geradezu heran und wollen niedergeschrieben, gelesen und gehört werden. Ihnen Gehör zu schenken würde nicht nur Seiten, sondern ganze Bände füllen. […]

So wollen wir uns quantitativ beschränken, um qualitativ desto höher zu greifen; so wollen wir in den gegebenen Zusammenhang nur einen Aspekt einbringen. Der aber ist so hervorragend oder prominent, wie man heute wieder gerne sagt, dass er in allen Bereichen und Kreisen, die nur irgend Anspruch darauf erheben, ernstlich mit Erziehung sich zu befassen, einen der ersten und vornehmsten Plätze beansprucht und immer einnehmen sollte. Indem wir diesen Aspekt herausstellen, erweisen wir gleichzeitig einem großen Geiste unsere Reverenz, dessen die gebildete Welt in diesem Jahr anlässlich der 200. Wiederkehr seines Todestages mit besonderer Anteilnahme gedenkt. Auch wir, die mit Erziehung Befassten, tun gut daran, an ihn uns zu erinnern. Denn er war nicht nur ein großer Historiker, Lyriker und einer der größten Dramatiker deutscher Sprache, sondern auch einer unserer größten Theoretiker auf den Gebieten der Kunst und der Erziehung, auf dem Feld der „ästhetischen Erziehung“, um es zusammenfassend zu formulieren. Es ist nicht mehr nötig zu sagen, dass der Verf. von Friedrich Schiller redet. Dessen Wort vom „homo ludens“ ist ja in vieler Munde und auch denen, die uns verlegen lächelnd eingestehen müssten, dass sie so genau denn nun doch nicht angeben könnten, was es mit dieser Formel auf sich habe, fiele bald wieder das Wichtigste dazu ein, wenn man ihnen nur etwas auf die Sprünge hälfe: dass nämlich der Dichter und Philosoph Friedrich Schiller mit beiden Begriffen, dem des „homo ludens“ und dem der „ästhetischen Erziehung“, der Überzeugung zum Durchbruch verhalf, die Aufgabe des Menschen, sich „in voller Bedeutung des Worts“ zum Menschen zu entwickeln und „ganz Mensch“ zu sein (vgl. o. das Motto der Abhandlung), sowie die dem gedeihliche Erziehung seien nicht so sehr eine nützliche, sondern vor allem eine schöne Angelegenheit bzw. eine Angelegenheit der Schönheit, womit er auch meint, ein Ziel der Erziehung durch die schönen Künste. […] Fakt ist, dass jeder unbefangene Mensch das entsprechende Verhalten, das Spielen, an Kindern beobachten kann, und man muss nicht Fachpädagoge sein, um es wahrzunehmen, sondern alle Eltern z. B. können im Umgang mit ihren Kindern miterleben, wie sehr, wie unauflöslich dieses Spielen mit dem Lernen und der Entwicklung der Persönlichkeit verbunden ist. […]

2005 2007 2008
"Die Banditen" 2005 "Die Piraten von Penzance" 2007 "Häuptling Abendwind" 2008

2012
"Time Travel" 2012
2013
"Die Banditen" 2013
2014
"Shadowman" 2014
2016
"Die schweigsame Gräfin" 2016
Der Philosoph und Theoretiker Schiller hatte bei der Entwicklung seines Konzepts der ästhetischen Erziehung zwar alle Künste vor Augen, vor allem aber wird der Dramatiker Schiller an das Theater gedacht haben, als er sich vorstellte, der Mensch könne sich im Spiel nicht nur Welt aneignen, sondern er werde, indem er sich Rollen erfindet, sie erprobt, ausgestaltet und spielt, auf dem Theater also, freier und selbst-bestimmter als anderswo zu sich selbst finden und entscheidende Schritte zur Verwirklichung seiner selbst tun. Was sich hieraus für die Bedeutung des Theaterspielens an unserer Schule ergibt, möchte der Verf. besonders der Elternschaft des KvG ans Herz legen: Wenn an unserem Gymnasium Kolleginnen, Kollegen, Schülerinnen und Schüler und - nicht zuletzt - Eltern, deren Mitarbeit an dem Projekt groß und unverzichtbar ist, sich aus freien Stücken zusammentun, um neben und außerhalb der regulären Unterrichtsstunden ein Theaterstück mit Musik zu schreiben oder zu bearbeiten, zu proben und schließlich, nach einem harten und steinigen Weg voller Arbeit und Mühe, aber auch voll Freude, auf die Bühne zu bringen und der Eltern- und Schülerschaft vorzuführen, dann sollten Sie, liebe Eltern, das als keine Kleinigkeit ansehen. Denn die an diesem Unternehmen beteiligten Schüler, Eltern, Kollegen kleben mit ihrem Einsatz für diese Sache nicht irgendein Ornament, nicht nur irgendeinen Schnörkel an die Fassade des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums, sie bewegen sich damit nicht auf irgendeinem Nebenschauplatz des Aufgabenfeldes Erziehung, sondern die derart Engagierten stehen mit ihrem Projekt in Zentrum des pädagogischen Geschehens selbst. […]
2009
"Peer Gynt" 2009
2010
"Orpheus in der Unterwelt" 2010

Größe und Vielseitigkeit des Unternehmens […] sind - wir bekennen uns dazu - Teil des Konzepts. Die Stücke waren nicht für eingeweihte, kleinere Zirkel gedacht. Schule sollte sich mit ihnen bewusst nach außen öffnen. Nicht nur sollte ein großes, vielschichtiges Publikum angesprochen werden, auch Mitarbeiter unterschiedlichster Art sollten gewonnen werden. Menschen verschiedenen Alters, mit den verschiedensten Begabungen, handwerklichen, technischen, künstlerischen, organisatorischen und pädagogischen, sollten einbezogen werden. Alle diese Fähigkeiten mussten erprobt, trainiert und in Teamarbeit aufeinander abgestimmt werden. Hinter dem Entschluss, Theater mit Musik zu machen, stand die erklärte Absicht, die Vielfalt der Begabungsrichtungen, die das Theater per se schon beansprucht, noch zu erweitern. Dass dabei Kooperationsbereitschaft und Fähigkeit zur Teamarbeit in hohem Maße gefordert und geschult wurden, ist ein nicht zu verachtendes Nebenprodukt der gemeinsamen Arbeit so vieler unterschiedlicher Menschen.

Im Zusammenhang dieser Ausführungen ist schon oft das Wort „Projekt“ gefallen. Das geschah nicht unüberlegt. Der Verf. meint nämlich, dass die gemeinschaftliche Arbeit an einem Musiktheaterstück mit der abschließenden öffentlichen Aufführung in besonderem Maße einem fachübergreifenden und projektorientierten Lernprozess entspricht. Es ist schon einige Zeit her, dass fächerübergreifender, projektorientierter Unterricht als Nonplusultra schulischen Lernens gefeiert wurde, aber zumeist an schier unüberwindlichen organisatorischen und bürokratischen Hindernissen scheiterte. Geraume Zeit glaubten die pädagogischen Meinungsmacher diese Schwierigkeiten durch die Einführung von Projektwochen überwunden zu haben, die die Schulen des Landes flächendeckend und inflationär überschwemmten, die aber ebenso kläglich scheiterten, wie sie begonnen hatten. Denn sie brachten von Anfang an nicht die versprochenen Lernerfolge, und die Attraktivität, die sie auf Schüler ausübten, bestand vor allem aus der Freude über den ausfallenden Unterricht. Das Unternehmen aber, in gemeinschaftlicher Arbeit von Schülern, Eltern, Lehrern ein Theaterstück auf die Bretter der Bühne zu bringen und damit vor die Öffentlichkeit zu treten, ist ein Projekt, das diesen Namen verdient wie kein anderes, und sein fächerübergreifender Charakter geht aus dem bisher Gesagten so beredt hervor, dass darüber hier kein Wort mehr zu verlieren ist. Allerdings realisiert es sich - so wie es am KvG zustande kam - nicht innerhalb, sondern außerhalb des Unterrichts. Denn sein Fundament ist der freiwillige Einsatz, sein Ziel sind nicht Noten, sondern das Projekt selbst und der Zuwachs an Bildung, der für die Mitarbeiter dabei herausspringt. Keine Schule kann, wenn ein solches Unternehmen Glück hat und gelingt, so ein Geschenk zurückweisen. Wir danken allen, wirklich allen, ohne sie im Einzelnen noch einmal aufzählen zu wollen, die mitgemacht haben, und denen, die mitgeholfen haben, dass das Projekt bisher zweimal verwirklich werden konnte.

Wir sind sehr zuversichtlich, dass dem Projekt „Musiktheater“ die weitere Unterstützung nicht versagt werden wird. Denn eine Schule, die sich hier verweigerte, gäbe sich selbst auf. Dem Verfasser, dem man eine Neigung zu hochdramatischem Pathos und melodramatischer Stimmungsmache nachsagt, fiele es mithin nicht schwer und er würde nicht zögern, den baldigen Untergang eines solchen kunstfeindlichen Instituts zu verkünden und in den entsprechenden Farben auszumalen. Um auch der Leserin und dem Leser einen lebhaften Eindruck davon zu vermitteln, was kunstfernen Bildungseinrichtungen in Zukunft droht, möchte der Verfasser, als Kostprobe gewissermaßen, gleichzeitig aber auch als Warnung, aus Uhlands berühmter Ballade „Des Sängers Fluch“ zitieren. (Zur Information derjenigen, die vielleicht den Inhalt des Gedichts vergessen haben sollten: Es geht in der Ballade um den Untergang eines Schlosses, in dem zwei fahrenden Sängern bitteres Unrecht geschieht. Der Chef des Hauses, ein König, ermordet den jüngeren der beiden Künstler, worauf der ältere das Schloss verflucht. Die beiden Künstler sind unschwer als Vertreter der ästhetischen Erziehung und des Musiktheaters festzumachen. Die weiteren Parallelen zu dem Thema, das uns in diesem kleinen Beitrag zum Jahrbuch des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums bewegt hat, sind von hier aus unschwer zu erschließen; sie sind derart deutlich mit Händen zu greifen, als hätte Uhland die Ballade eigens für uns geschrieben.) - Die letzten beiden Strophen der Ballade lauten:


Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört,
Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht,
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.
Und rings statt duft'ger Gärten ein ödes Heideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell duchdringt den Sand,
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch:
Versunken und vergessen! Das ist des Sängers Fluch.


So kann's gehen. Das wollen wir doch nicht, oder?
Alfred Vollmer, KvG-Jahrbuch 2004/05