Experimentierfeld Lyrik

Zwei Deutschkurse der gymnasialen Oberstufe auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen

Der Deutschunterricht der gymnasialen Oberstufe wird vor allem durch eine Analyse und Interpretation von literarischen Texten bestimmt. Während die rezeptive Arbeit einen hohen Stellenwert einnimmt, wird die eigene Textproduktion des Schülers in der Regel vernachlässigt.
Im Rahmen einer kleinen Unterrichtsreihe, die in Koproduktion zwischen einem Leistungskurs Deutsch und einem Grundkurs Deutsch der Jahrgangsstufe 13 durchgeführt wurde, sollten sich die Kursteilnehmer produktiv mit Lyrik auseinandersetzen. Bei der Erstellung der Texte sollten vor allem neue Wege der Textproduktion beschritten werden. Dabei ging es weniger darum, in Anlehnung an bekannte und überlieferte Lyrikformen nun Nachschöpfungen zu entwickeln, es sollten nicht Kreuzreime oder gar Sonette gebildet werden, vielmehr sollten, ausgehend von modernen Lyrikformen, bei denen visuelle Komponenten wichtig wurden oder collagenhafte Elemente einflossen, die Schüler Lyrik als eine Ausdrucksform erkennen, bei der eine verdichtete Zuspitzung auf das eigene Ich sowie ein Bezug zur Gesellschaft, zur Umwelt hergestellt werden kann - Lyrik als eine literarische Möglichkeit, sich mit sich selbst und dem eigenen Standort in der Welt zu beschäftigen. Es ging nicht um Rhythmus und Reimschema, sondern weltbewegende Probleme wie Hunger, Krieg, Umweltzerstörung, persönliche Erfahrungen wie Liebe und Leid und Aspekte des Alltags sollten textlich erfaßt, subjektiv bearbeitet, zugespitzt, hinterfragt und problematisiert werden. Verschiedene Arbeitsweisen und Inhalte sollten dabei Berücksichtigung finden. Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit der modernen Technik wie dem Computer, mit dessen Hilfe es möglich wird, im Bereich der Lyrik mit Sprache zu arbeiten, zu jonglieren, einen Spannungsbogen zwischen dem Wort und der zur Verfügung stehenden Papierfläche herzustellen. In diesem Zusammenhang steht auch die visuelle Lyrik, bei der sich Beziehungen zwischen dem Text und dem Rahmen ergeben; zur sogenannten Collagenlyrik zählen Texte aus Zeitungen und Zeitschriften, die ausgeschnitten und durch ihre Isolierung einen neuen Sinn erhalten. Aber auch konventionelle Methoden der Lyrikerstellung konnten beschritten werden, etwa der Auseinandersetzung mit Aspekten des Alltags. Darüber hinaus bestand natürlich auch die Möglichkeit, eine Kombination der unterschiedlichen Produktionsverfahren zu wählen.
Die hier veröffentlichten Arbeiten bilden einen von den Schülern ausgewählten Querschnitt, der deutlich macht, daß Lyrik nicht nur als verbales formales Experimentierfeld betrachtet werden kann, sondern auch dazu beitragen kann, sich mit der eigenen Identität zu befassen.
Meinhard Schulte in: Kardinal-von-Galen-Schule 1946-1996, Münster 1996




Vera Bach Rebecca Dickgreber Nadja Diel Christian Druffel-Severin Bettina Einloos Simon Emmerich Michael Frehse Simone Große Breuing Lars Hammer Kerstin Himmelmann Karim Khawatmi Bernd Köster Tina Marsmann Christoph Newzella Henning Reisener Petra Rüschhoff Bianca Schadewitz Isabelle Schaukal Kirsten Schönbrunn Eva Simon Eva Strickmann Ute Worstmann Anja von dem Berge Christian Bollermann Cornelia Czipull Katharina Draude Martina Drolshagen Gilbert Havers Anja Hülsbömer Jan Kaven Claus Korbeck Markus Korbeck Shirley Kummer Anke Luckmann Nadja Ottens Sonia Reyes Gabriele Sander Verena Schütte Imke Sczesny Henner Thoss Daniela Wohlhorn Thorsten Gerigk

Zwangsarbeit

Aufgabe:
Gedichte schreiben
Sechs an der Zahl
Arbeit
Scheinbar nicht zu bewältigen
Zwangsarbeit
Ein gutes Gedicht
Wird nicht aus den Fingern gesogen
Ein gutes Gedicht
Fällt ein
Spontan
Vielleicht auf dem Klo

Kerstin Himmelmann

Ferrari

vor 20 jahren, als erfolgreicher unternehmer, kaufte er sich seinen traum
2 jahre bevor er heiratete
das rot seines ferraris ist noch so schön wie am ersten tag
das rot ihrer lippen verblaßt langsam
die rundungen der kotflügel sind immer noch so elegant wie am ersten tag
die rundungen ihres körpers weisen die zeichen der zeit auf
das blitzen des chroms ist noch genauso stechend wie am ersten tag
das funkeln ihrer augen hingegen ist erloschen
der ferrari fährt noch immer rassig
sie liest abends lieber magazine
seit einiger zeit verbringt er mehr zeit mit seinem ferrari als mit ihr
er fährt mit seinem ferrari durch die stadt
und sucht ein junges rnädchen das genauso rassig ist wie sein traum
so wie er es vor 18 jahren tat

Gilbert Havers

Über das Zerpflücken von Gedichten

Zerreißt sie
Rupft sie auseinander
Interpretiert sie
Beurteilt sie
Verurteilt sie
Sie -
Die Gedichte -
Doch nicht mich

Kerstin Himmelmann