Lehrer buchstabieren…


Ja, Sie haben richtig gelesen: Lehrer buchstabieren! Nur, worum handelt es sich, daß Lehrer, denen man Wortgewandtheit nicht abspricht, innehalten oder vielleicht sogar ins Stammeln geraten? Es ist schon merkwürdig!
Ich denke, es liegt in der Aufgabe selbst begründet, der sie sich stellen und die sie zu lösen versuchen - mit der sie aber eigentlich nie so recht ans Ende kommen. Und diese Aufgabe lautet: Glaubensvermittlung. Trostreich zu wissen, daß wir Lehrer uns bei diesem Unterfangen in guter Gesellschaft wissen, wenn schon der Apostel Paulus von Stückwerk unseres Erkennens und Tuns spricht (vgl. 1Kor. 14,9). Und dies gilt erst recht auch für Glauben und Glaubensvermittlung an andere.
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Eugenie Neugebauer (1985)
Wie kann und soll nun trotz aller Unvollkommenheit die Vermittlung geschehen? Paulus sagt: „Der Glaube kommt vom Hören” (Rom. 10,17); vielleicht läßt sich ergänzen: Der Glaube kommt auch vom Schauen. Horen und Schauen setzen voraus, daß jemand spricht bzw. das sichtbar werden läßt, was ihm von Bedeutung ist; denn „die Tradierung des Christentums ist nicht durch Organisation zu leisten, sondern nur durch personale Begegnung.” (Adolf Exeler: Dem Glauben neue Bahnen brechen – Anstöße für die Praxis)
Diese persönliche Begegnung oder besser das ständige Bemühen darum bewahrt vor hochtrabenden Sprüchen oder scheinbar perfekten Antworten. Für unsere jungen Leute schafft sie erst die Atmosphäre, in der die Fragen nach der Wirklichkeit, nach Wertvorstellungen, für die es sich zu leben lohnt, nach Maßstaben für das eigene Handeln, nach Voraussetzungen für das Gelingen des eigenen Lebens und nach der Bedeutung der Botschaft des Evangeliums ihren Raum haben. Ein Raum allerdings ist ein mehrdimensionales Gebilde. Und so ist es selbstverständlich, daß jeder Lehrer nach seinen Fähigkeiten und dem ihm eigenen Engagement sein Mosaiksteinchen dazu beiträgt, dem jungen Menschen das weiterzugeben, was ihm helfen kann, Wirklichkeit zu erschließen. In der Gemeinschaft des Tuns liegt die Vielfalt der Möglichkeiten. In diesem Zusammenhang sollten wir das, was oben mit Glaubensvermittlung bezeichnet wurde, in einem umfassenden Sinn verstehen; denn gerade bei der biblischen Botschaft geht es um die Menschwerdung.
Doch möchte ich noch einmal auf die Eingangsfrage zurückkommen: Glaubensvermittlung in der Schule - an unserer Schule - wie?
Es entspricht der Realität, bescheiden zu bekennen, daß es auch an einer bischöflichen Schule für alle Beteiligten kein Einheitsrezept gibt. Umso mehr scheint mir - wie bereits oben erwähnt – das Buchstabieren als Ausdruck des Suchens angemessen zu sein. Ich will es wörtlich nehmen. Was liegt naher als der Name unserer Schule, der auf jenen mutigen Bischof von Münster verweist. So erlaube ich mir, im Bewußtsein der Verkürzung, den Namen unserer Kardinal-von-Galen-Schule, die am Ort gern mit KvG bezeichnet wird, ‘interpretierend’ zu buchstabieren.
Das Leitmotiv für das Bemühen in der Glaubensvermittlung könnte dann wie folgt lauten: K: wie konkret - V: wie vielfältig - G: wie gemeinsam.
Eine Ortsbestimmung von Glaubensvermittlung in unserer Schule wäre lückenhaft, wenn nicht die Glaubensvermittlung im engeren Sinne zur Sprache käme. Naturgemäß ist hier der Religionsunterricht angesprochen, bzw. die Bemühungen, die mit dem heute gebräuchlichen Wort „Schulseelsorge” gekennzeichnet werden. „Dabei geht es im Religionsunterricht nicht nur um Erkennen und Wissen, sondern ebenso um Verhalten und Haltung. Die Antworten des Glaubens haben Prägekraft. Aus ihnen ergeben sich Modelle und Motive für ein gläubiges und zugleich humanes Leben. Der Religionsunterricht macht infolgedessen auch ein Angebot von Bewältigungsmustern des Lebens - zur freien Aneignung durch den Schüler und zur Vorbereitung einer mündigen Glaubensentscheidung.” (Der Religionsunterricht in der Schule. Ein Beschluß der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, 1974)
Diese Zielvorstellung läßt für die Bemühungen des Religionslehrers verschiedene Akzentsetzungen im bzw. außerhalb des Religionsunterrichtes zu. Drei Schwerpunkte bilden die Grundlage für unser konkretes, praktisches Bemühen an der Schule.
Zuerst geht es um das religiöse Tun. Da sind die regelmäßig stattfindenden Schulgottesdienste zu nennen, ebenso die Gottesdienste zu bestimmten Anlässen und Zeiten im Kirchenjahr, der regelmäßige ökumenische Gesprächskreis und das Angebot der Tage religiöser Orientierung.
Zum anderen geht es um den sozialen Aspekt. Neben den ständigen Bemühungen im Gottesdienst wie im Religionsunterricht, den Schülern die Augen für die vielfältige Not auch in ihrer Umgebung zu öffnen, sei auf Aktivitäten wie z. B. den Besuch im Altenheim oder Krankenhaus oder auf das besondere Engagement eines Dritte-Welt-Kreises verwiesen.
Nicht unwesentlich ist für uns der ökumenische Gesichtspunkt. Viele der oben erwähnten Bemühungen sind von evangelischer wie von katholischer Seite gemeinsam getragen. Es geht um das Gemeinsame und nicht um das Trennende, wobei das „Noch nicht” auch uns bewußt bleibt und schmerzt.
Trotz all unseres Einsatzes bleibt unser Bemühen immer Stückwerk, vor allem, was die Glaubensvermittlung im engeren Sinn betrifft. Denn „wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut” (Ps. 127 ,1).
„Auf jeden Fall gilt: Bei allem, was im Rahmen der Glaubensvermittlung behandelt wird, muß ich selbst vorkommen… Und, damit die dem einzelnen geschenkten Gaben zur Entfaltung kommen, müssen sie entdeckt und gefördert werden, im Zusammenwirken zwischen den einzelnen Betroffenen und der Gemeinschaft… Der Einblick in die Vielfalt der Realisierungsformen fordert den Sinn für die gegenseitige Angewiesenheit.” (Exeler, a.a.O.)
Das gilt auch in der Schule - oder besser gerade in der Schule. Schule hat etwas mit gemeinsamen Lemen zu tun - und gemeinsames Lernen ist ein Prozeß auf ein Ziel hin. Das Motto des Weges auf dieses Ziel hin könnte heißen: Laßt uns immer von Neuem den Weg suchen: - konkret - vielfältig und gemeinsam!
Eugenie Neugebauer in: Kardinal-von-Galen-Schule 1946-1986. Festschrift zum 40jährigen Jubiläum des Gymnasiums, Münster 1986