Der Physikunterricht in Klasse 5 und 6


Nach Abschluß der Oberstufenreform vor etwa zehn Jahren erfuhr der Physikunterricht am Gymnasium eine weitere Veränderung durch die Einbeziehung der Physik in den Unterricht der Jahrgangsstufen 5 und 6 (erstes Halbjahr). Der Grund hierfür ist darin zu suchen, daß es seit jeher wünschenswert war, ein Bindeglied zwischen dem Sachkundeunterricht der Primarstufe und dem Physikunterricht der Sekundarstufe I herzustellen. Die Verwirklichung scheiterte jedoch lange an der personellen und räumlichen Ausstattung der Gymnasien.
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Physikunterricht 1986 bei Dr. Martin Fuhrmans -
hier allerdings nicht in Klasse 5/6, sondern im Leistungskurs der Stufe 13
An unserem Gymnasium wurde im Schuljahr 1979/80 dieser Schritt vollzogen. Im folgenden sollen einige Überlegungen und Erfahrungen aus den letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Physikunterricht in diesen Jahrgangsstufen dargelegt werden.
Versucht man, in der ersten Physikstunde in einer Klasse 5 herauszufinden, welche Erwartungen die Schüler mit dem Fach verbinden, so läßt sich feststellen, daß sie beim Anblick der vielen Geräte und Apparaturen in den Physikräumen in erster Linie erwarten, in diesem Unterricht möglichst viel zur Erfüllung ihres Wissensdurstes auf technischem Gebiet zu erfahren. Sie erwarten zu erfahren, wie ein Fernsehgerät, ein Atomkraftwerk, ein Düsenflugzeug, ein Laser oder ein Computer funktioniert, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Sie hoffen, daß ihnen all die mehr oder weniger geheimnisvollen Geräte der Sammlung vorgeführt werden, wenn nicht gar, mit ihnen selbst arbeiten zu dürfen.
Aus der Sicht des Lehrers ist es schwierig, zu klären, daß dies nicht der alleinige Zweck des Physikunterrichts sein wird, sondern daß andere Ziele im Vordergrund stehen, nämlich die Beobachtung und Beschreibung von Vorgängen in einem Teilbereich der uns umgebenden Welt bzw. der Natur, um auf diese Weise ein geordnetes Wissen davon zu entwickeln. Für manchen Schüler mag dies zunächst, gemessen an seinen ursprüngliehen Vorstellungen, eine enttäuschende Auskunft sein. Um kein allzu großes Desinteresse aufkommen zu lassen, ist es nun wichtig, einerseits ein Stoffgebiet auszuwählen, das die Schüler möglichst stark anspricht, und andererseits, wenn möglich, immer wieder Anwendungen der behandelten Phänomene in den Vordergrund zu stellen.
Die in den Klassen 5 und 6 behandelten Stoffgebiete sind die gleichen wie diejenigen der späteren Jahrgangsstufen, nämlich: Magnetismus, Elektrizität, Wärme, Optik, Akustik und Mechanik. Der Unterschied gegenüber der späteren nochmaligen Behandlung besteht in einer geringeren Anzahl der Themen eines jeden Stoffgebietes, in einem geringeren Grad der Komplexität und in einem fast gänzlichen Verzicht auf die sonst übliche Verwendung der Mathematik in diesem Fach.
Diese Voraussetzungen bedeuten, daß man stark elementarisieren muß, d.h. daß man nur die wichtigsten Aspekte eines Themas behandeln kann. Gerade diese Elementarisierung führt aber häufig zu Schwierigkeiten, weil Schüler oft nicht einsehen können, warum gerade dieser oder jener Aspekt, der sie an einem bestimmten Thema besonders interessiert, außer acht gelassen werden soll.
Neben der Elementarisierung, deren Notwendigkeit sich aus den unterrichtlichen Voraussetzungen ergibt, stellt sich eine weitere häufig auftretende Schwierigkeit, die mit der Entwicklung und Anwendung von physikalischen Modellvorstellungen verbunden ist. Physikalische Modelle zu entwickeln und zu benutzen, setzt voraus, schon etwas über die Bedeutung eines physikalischen Modells als rein gedankliche Konstruktion im Gegensatz zur physikalischen Wirklichkeit zu wissen. Da diese Denkweise vorher noch nicht erprobt worden ist, kann es für Schüler dieser Jahrgangsstufen schwierig sein, mit solchen physikalischen Modellen zu arbeiten. Da sie im allgemeinen das Modell als ein Bild der gesamten physikalischen Wirklichkeit ansehen, ohne dabei an die Grenzen des Modells zu denken, die jedem physikalischen Modell prinzipiell anhaften, ist es für sie auch schwierig, einzusehen, weshalb man nicht alle in der Wirklichkeit gemachten Beobachtungen widerspruchsfrei mit dem Modell erklären kann. Trotzdem sollte aber hin und wieder die Entwicklung und Anwendung physikalischer Modellvorstellungen geübt werden, da sie wesentlicher Bestandteil physikalischen Denkens sind. Wichtig dabei ist jedoch, daß ein Modell nicht einfach als vorgegeben mitgeteilt, sondern nach Möglichkeit aus Beobachtungen entwickelt wird.
Im Vordergrund sollte daher auf jeden Fall die von den Schülern selbst gemachte Erfahrung stehen. „Selbst gemachte Erfahrung“ bedeutet in diesem Zusammenhang eine eigene Beobachtung des Schülers. Dabei kann es sich um eine Beobachtung aus dem täglichen Leben oder um Experimente im Unterricht handeln.
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Physikunterricht im Leistungskurs 12 bei Franz Swietlik 1986
Besonders motivierend sind natürlich solche Experimente, die die Schüler in kleinen Gruppen selbst ausführen können, weil dies ihren oben genannten anfänglichen Vorstellungen von dem, was Physik ist, sehr nahe kommt. Unsere Schule ist in der glücklichen Lage, hier den Schülern eine gut ausgestattete Sammlung für derartige Schülerübungen bieten zu können. In den meisten Fällen wird in Gruppen von zwei bis drei Schülern gearbeitet. Da diese Unterrichtsform den Schülern von ihrer Grundschulzeit her nicht bekannt ist, kann es im Anfang zu organisatorischen Schwierigkeiten kommen, die aber meistens recht bald behoben sind.
Ein größeres Problem zeigt sich beim naheren Beobachten der einzelnen Gruppen: Es gibt Schüler, die auf Grund ihrer vorherigen Beschäftigung mit technischen Dingen eine gestellte Aufgabe schnell und genau lösen, und andere, die schon beim Aufbau, bei der Durchführung des Versuches oder beim Ablesen von Instrumenten Schwierigkeiten haben. Hier an der richtigen Stelle die richtige Hilfestellung zu geben, um ein einigermaßen gleichmäßig schnelles Arbeiten aller Gruppen zu gewährleisten, stellt an den Lehrer harte Anforderungen. Interessanterweise lassen sich aber auch die praktisch weniger versierten Schüler nicht entmutigen, die gestellte Aufgabe zu lösen. Eine weitere Beobachtung ist die, daß die Schüler bei dieser Unterrichtsform zu gegenseitiger Hilfeleistung spontan bereit sind.
Die Auswertung eines solchen Schülerversuches in Form eines Versuchsprotokolls gibt Gelegenheit, den Schülern klarzumachen, was am Aufbau und der Durchführung eines Versuches wert ist, festgehalten zu werden. Es bedarf der Anfertigung einiger solcher Protokolle, bis klar wird, daß z.B. eine Skizze wesentlich aussagekräftiger sein kann als ein langer Text, daß z.B. die Form eines Stativfußes oder gar seine Farbe nicht von so entscheidender Bedeutung sind wie z.B. eine genaue Formulierung der Fragestellung und Schilderung der beim Versuch gemachten Beobachtungen. lnsgesamt läßt sich feststellen, daß Schülerversuche in diesen Jahrgangsstufen die wirkungsvollste und intensivste Auseinandersetzung mit einem physikalischen Thema bedeuten und daß sie zur Förderung solcher Lernziele geeignet sind, die in einem lehrerzentrierten Frontalunterricht zu kurz kommen.
Allerdings läßt sich ein durchgängig nur aus Schülerübungen bestehender Unterricht, wie er hin und wieder propagiert wird, nicht durchführen und wäre auch aus der Sicht der Schüler wahrscheinlich nicht wünschenswert. Viele Versuche sind auf Grund des apparativen Aufwandes und aus Gründen der Sicherheit nicht geeignet, als Schülerversuche durchgeführt zu werden, und können nur als Demonstrationsexperimente gezeigt werden. In welchen Fällen die eine oder die andere Form des Unterrichts gewählt wird, läßt sich vom Lehrer letztlich nur auf Grund eigener Erfahrung entscheiden.
So bleibt schließlich noch die Frage, ob der Physikunterricht in den Jahrgangsstufen 5 und 6 eine Basis für den Physikunterricht in der Mittelstufe bildet. Es zeigt sich nach meiner Erfahrung, daß man z.B. bei der Behandlung der Optik in Klasse 8 auf wichtige Begriffe und Grundkenntnisse der Strahlenoptik wie z.B. den Begriff des Lichtstrahls und des Reflexionsgesetzes zurückgreifen kann. Dies bedeutet, daß man recht früh mit der Behandlung weiterführender Themen, die auf diesen Vorkenntnissen aufbauen, fortfahren kann. Ähnliches läßt sich für die Wärme- und Elektrizitätslehre feststellen.
Wenn auch in einigen Punkten, wie der Wahl des Lehrbuches (seit Beginn dieses Schuljahres arbeiten wir mit einem neuen Lehrbuch) oder der Ergänzung der Sammlung, noch Verbesserungen angestrebt werden, so läßt sich doch die Einführung des Faches Physik in den Unterricht der beiden Anfangsklassen positiv beurteilen.
Dr. Martin Fuhrmans in: Kardinal-von Galen-Schule 1946-1986. Festschrift zum 40jährigen Jubiläum des Gymnasiums, Münster 1986