 |
| "Bildschirmzauber": Baum des Pythagoras, Rekursionstiefe 19 |
 |
| Logarithmische Spirale mit Basis 1,12 |
Das Fach Informatik an unserer Schule
Was ist das?
Rauchende Köpfe. Schüler und Lehrer diskutieren über ein Problem.
Fragen, Tips, ldeen, Pläne, Lösungen, Vorschläge, Vermutungen
stehen im Raum. Einzelne eilen wie Simultanschachspieler zwischen Gruppen hin
und her, versuchen unterschiedlichste Fehler aufzuklären und zu beseitigen.
All diese Probleme beziehen sich auf die flimmernde Welt und den geheimnisvollen
Zauber, den gewisse Geräte ausüben. Chaotisches Arbeiten? Mag sein:
Hier darf man (fast) so viel falsch machen, wie man will; Teamarbeit ist gefragt
bei der Fehlersuche. Man hofft, daß diese Art des Arbeitens so bald nicht
endet, und oft ist nach dem Pausensignal die Frage zu hören, ob man nicht
doch noch ein bißchen weitermachen kann...
Was für eine Welt ist das? Hätte die Überschrift nicht schon
alles verraten, wer wäre darauf gekommen, daß es sich schlicht
und einfach um Unterricht handelt - um Informatikunterricht? Wer außer
den Eingeweihten ahnt, mit wie kurzen und einfachen Programmen man „Bildschirmzauber“
machen kann? Freilich: Kurz sind die fertig geschriebenen Programme; sie erfordern
aber, bis sie in dieser Form stehen, viel Nachdenken und Kreativität,
und das Ergebnis ist zuweilen wie die leider zu kurze Aufführung eines
Konzerts, dem eine lange Probenarbeit vorausgeht.
So ein Programm ist nie „fertig“; es bleibt immer etwas, das verbessert
oder erweitert werden kann. Am Anfang steht die Frage, wie man vorgeht: Programmiert
man für den „Baum des Pythagoras“ jedes einzelne Quadrat? Mitnichten:
viel zu umständlich und unelegant! Man macht es „rekursiv“: so,
wie das Mainzelmännchen, das den Koffer trägt, dem ähnelt, das
darauf gemalt ist und wiederum einen Koffer trägt usw. Ob es der Baum des
Pythagoras, ein Turm von Hanoi, ein siebenzackiger Stern oder ein sich drehendes
Polygon ist, ob eine beliebig lange Primzahlliste, eine näherungsweise Berechnung
der Zahl Pi oder ein Funktionsgraph ausgegeben werden soll: Dies alles ist programmierbar,
in den unterschiedlichsten Farben und sogar mit Musik, wenn man will. Das Programmieren
steht auf zwei Säulen: Nachdenken und Ausprobieren. Und beides macht Spaß!
 |
| "Auf dem Olymp" im 3. Stock: |
 |
Wie alles anfing
Nachdenken und ausprobieren: Das war auch die Devise der Lehrer unserer Schule,
die sich zu Beginn der achtziger Jahre für die Anschaffung von Computern
und die Einrichtung eines Informatikraumes engagierten. Auch vorher war die Informatik
nicht spurlos am KvG vorbeigegangen, denn die Fachschaft Mathematik besaß
schon seit 1978 einen Klassensatz programmierbarer Kleinrechner mit Thermodrucker,
die vorzugsweise im Unterricht der differenzierten Mittelstufe eingesetzt wurden.
1983 war es dann soweit: Die neugegründete Fachschaft Informatik konnte stolz
vier Apple IIe-Geräte ihr eigen nennen, die dank großzügiger Unterstützung
mit Mitteln des Schulträgers, des Fördervereins und aus dem didaktischen
Etat finanziert worden waren. Für uns, die wir heute [1996!] gewohnt sind,
mit Megabytes um uns zu werfen, wenn wir von Computerkapazitäten reden, ist
es schwer vorstellbar, daß ein Arbeitsplatz mit Zentraleinheit, Monitor
und zwei Laufwerken (Von Festplatten war keine Rede!) vor nur 13 Jahren ca. 4500
DM kostete, und das bei einem relativ langsamen Prozessor und einer Speicherkapazität
von sage und schreibe 64 Kilobyte!
Doch alles ist relativ: Aus damaliger Sicht war es ein toller Fortschritt. Ich
erinnere mich gut daran, wie sehr die Möglichkeiten, Musik zu Gehör
zu bringen, Zeichnungen auf dem Bildschirm zu erzeugen oder etwa eine Primzahlliste
- im Vergleich zum Kleinrechner - „superschnell“ auszugeben, von Schülern
und Lehrern bewundert wurden. Zum Programmieren stand schon die Sprache „Pascal“
zur Verfügung, die auch in der damaligen Version bereits ihre typischen Vorteile
besaß: ausreichende Genauigkeit, komfortable Ausgabe, Möglichkeit der
Verwaltung größerer Datenbestände und - vor allem – Erziehung
des Programmierers zu einem strukturierten, modularen Konzept und damit konsequente
Förderung von Teamarbeit bei Projekten. Auch Anwenderprogramme, etwa zur
Textverarbeitung oder zur Dateiverwaltung, gab es, und natürlich dazu ein
paar nette kleine Spielchen zur Auflockerung. Und so waren die freiwilligen Arbeitsgemeinschaften,
die mit Beginn des Schuljahres 1983/84 an den „Traumgeräten“
angeboten wurden, derart gefragt, daß nicht alle Anmeldungen auf Anhieb
berücksichtigt werden konnten...
Wie es weiterging
Wie hält ein Lehrer mit einem Schüler Schritt, der den ganzen Nachmittag
vor dem Schulcomputer verbringt oder gar ein eigenes Gerät zu Hause hat,
dessen sämtliche Raffinessen er nach kurzer Zeit beherrscht? Ein neuer
Arbeitsstil kam auf. Lehrer ließen sich von Schülern etwas erklären;
Probleme wurden gemeinsam gelöst; autodidaktisches Vorgehen, aber auch
Teamarbeit und Weitergabe von Wissen waren gefragt. Der eine kannte gerätebezogene
Tricks, der andere war in der Programmiertechnik schon weit vorgedrungen, ein
dritter hatte sich über Anwenderprogramme informiert und ein vierter war
technisch firm und wußte, wie man Laufwerke einstellte, Kabelverbindungen
lötete und die Gerate zweckmäßig mit Erweiterungskarten bestücken
konnte. So bildete sich bald eine - oft durch kundige Schüler angereicherte
- „Lehrer-AG“, in der über mehrere Jahre hin in regelmäßigen
Abständen lnformatikwissen ausgetauscht wurde.
 |
Fünfzackiger Stern und Siebzehneck,
zum Rotieren gebracht |
Dieser Austausch blieb nicht innerhalb der Schule: Bald kam es zu Informatikertreffen
auf der Ebene der bischöflichen Schulen sowie der Stadt Münster. Aus
letzteren entwickelte sich später die Bezirksfachkonferenz Informatik. Auf
Bistumsebene hatte unsere Schule eine Vorreiterrolle: Sie begann 1984/85 als erste
mit dem regulären Oberstufenunterricht in Informatik und „produzierte“
demgemäß 1987 die ersten Abiturienten mit diesem Fach. Diese Schüler
gingen also schon munter auf das Abitur zu oder hatten es bestanden, als ihre
Lehrer 1985-87 und 1987-89 zu landesweiten Fortbildungsmaßnahmen in Informatik
entsandt wurden.
Der Fortschritt in der Hardwareentwicklung war rasant: Nach wenigen Jahren war
der gute alte Apple IIe im Vergleich zu neuen Modellen zu langsam geworden, er
hatte zu wenig Speicherplatz, sein Betriebs- und insbesondere Editiersystem erschien
umständlich, die Palette der Anwenderprogramme primitiv und kaum entwicklungsfähig;
die Produktion wurde eingestellt. Für uns war dies das Signal zur Umstellung:
Atari hieß nun der Favorit. Mit 1 MB Speicher, 3,5 Zoll-Laufwerken, einer
damals führenden und richtungsweisenden Fenstertechnik und einer leicht handhabbaren
Pascal-Version, das alles zu sehr günstigen Preisen, waren diese Geräte
genau das Richtige für unseren Informatikraum. Ein leistungsfähiges
Textverarbeitungssystem kam hinzu, das es z. B. ermöglichte, fortan die Schülerzeitung
mit Hilfe des Computers herzustellen. Die Umstellung erfolgte sukzessive in den
Jahren 1987-90; wieder halfen Schulträger, Förderverein und didaktischer
Etat. Zusammen mit den Apple-Geräten, die auch noch immer „liefen und
liefen“, verfügte unsere Schule nun mittlerweile über eine stattliche
Sammlung von 18 Einheiten, die ein intensives Arbeiten ermöglichte - auch
wenn die Verschiedenartigkeit der Computer in Anfängerkursen manchmal Probleme
mit sich brachte und beide Typen in den Anwenderprogrammen sehr differierten.
Aber die Stellmöglichkeiten waren beschränkt, der Computerraum platzte
aus allen Nähten: Zeit für eine Modernisierung und Erweiterung! Diese
wurde - dem Schulträger sei Dank - 1991 im Zusammenhang mit der Neugestaltung
der Aula realisiert. Durch Hinzunahme der bisherigen Aula-Tribüne wurde
der Informatikraum auf fast doppelte Größe gebracht; er erhielt eine
großzügige Fensterfront sowie zweckmäßige Lichtquellen
und Netzanschlußleisten. Nun war wieder genügend Platz für alle
Computer da, und auch die lange erwünschte Trennung von Unterrichts- und
Übungsplätzen war möglich geworden. Ein besseres Arbeiten so,
wie es sich für den „Olymp“ im dritten Stock gehört: in
freier, geräumiger, lichtdurchfluteter Atmosphäre!
Wie es heute aussieht
Noch einmal griff der Schulträger 1992 tief in die Tasche: Dies war für
uns die Chance, die veralteten Apple-Geräte durch 12 Computer vom Typ 386
zu ersetzen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge konnte man diese Entwicklung
betrachten: Das an sich intelligente, vielversprechende Atari-Konzept deckte
nur einen kleinen Teil des Marktes ab und wurde daher - leider ging es um die
Wirtschaftlichkeit, also ums liebe Geld - nicht weiter verfolgt. Es wurde notwendig,
wegen der vielen dort angebotenen Anwenderprogramme Anschluß an die „MS-DOS-Welt“
zu bekommen. Der damit verbundene methodische Rückschritt - man mußte
wieder ins „Mittelalter“ der auswendig zu lernenden DOS-Befehle
zurückkehren - wurde dadurch versüßt, daß dort mittlerweile
auch das Programm „Windows“ mit Fenstertechnik entwickelt, der Prozessor
wieder schneller und der Speicherraum erheblich größer geworden war.
Extrem kurze Speicherungs- und Compilationszeiten sowie eine Unzahl von Anwendungsmöglichkeiten
ergeben sich daraus. Die mitgelieferten Festplatten machen den Diskettenbetrieb
weitgehend unnötig. Allgemein bekannte und zu Standard gewordene Programme
wie „Word“ oder „Works“ können eingesetzt werden,
nicht nur in Informatik, sondern auch beim Erstellen formgerechter Briefe (etwa
Bewerbungsschreiben) im Deutschunterricht oder bei der Auswertung von Befragungen
im Fach Politik.
 |
| Informatikunterricht 1996 |
 |
Auch andere Fächer haben längst von der Computerwelt profitiert, so
die Mathematik mit - anfänglich „selbstgestrickten“ - Kurvendiskussionsprogrammen
und die Physik mit der Simulation von Versuchen. Daß der Computerraum also
nicht mehr eine Domäne des Faches Informatik ist, ist eine Entwicklung, mit
der unsere Schule im Trend der Lehrpläne liegt, die den Einsatz von EDV auf
großer Breite vorsehen. Diese Entwicklung wird sich sicherlich noch verstärken,
zumal heute schon in fast allen Fächern benutzerfreundliche Anwenderprogramme
auf MS-DOS-Schiene angeboten werden...
Und wo bleibt das Fach Informatik? Es soll nicht verschwiegen werden, daß
die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die dieses Fach in der Oberstufe
wählen, zurückgegangen ist. Dieses Phänomen ist an allen Gymnasien
zu beobachten. Ist der Informatikunterricht weniger attraktiv geworden, weil
er nicht mehr dazu dienen muß, Computerzauber kennenzulernen, da viele
Schüler heute zu Hause über ein Gerät verfügen (das oft
leistungsfähiger und moderner ist als das in der Schule)? Liegt es an den
geänderten Wahlbedingungen der Oberstufe, die seit einigen Jahren für
die 11.2 kein zweites Fach aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich
mehr vorschreiben und damit Informatik zum „Überkurs“ machen?
Oder am „Kienbaum-Gutachten“, als dessen Folge den Schulen größere
Schülerzahlen pro Lehrer verordnet wurden, was u. a. zu Lasten der Informatikkurse
ging?
Wie auch immer: Das Fach Informatik wird deshalb nicht verschwinden. Wohl verlagert
sich seine Ausrichtung, ändern sich Inhalte und Methoden. In der Mittelstufe
nimmt die Bedeutung des Fachs eher zu, was man aus den jetzt seit mehreren Jahren
zunehmenden Schülerzahlen in den Differenzierungsgruppen Mathematik/Informatik
des 9. Schuljahres erschließen kann. Nach dem für private Schulen geltenden
Grundsatz „gleichwertig, aber nicht notwendig gleichartig“ wendet
unser Gymnasium hier seit mehreren Jahren erfolgreich ein Sondermodell an: Die
neben der dritten Fremdsprache angebotene Differenzierungsgruppe ist wie jene
vier- und nicht dreistündig; angeboten wird dort eine Kombination von Mathematik/Informatik
in Klasse 9 und Biologie in Klasse 10. Dabei sind Mathematik und Informatik in
einen Kurs integriert, wodurch ein epochaler Wechsel und der Bezug zueinander,
vor allem also die Verarbeitung zuvor behandelter mathematischer Probleme mit
Mitteln der Informatik, ermöglicht werden.
Und die Moral von der Geschicht‘?
Warum wählen Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 und 11 Informatik?
Warum wollen nach wie vor viele, vor allem auch aus den unteren Klassen, an
einer AG teilnehmen? Ist es der oben erwähnte Bildschirmzauber, die flimmernde
Welt, der Spieltrieb, der sie reizt? Aus solchen Motiven heraus „an die
Computer“ zu streben, ist ja nicht verwerflich, sondern angesichts der
immer raffinierter und umfangreicher werdenden Spielsoftware nur zu gut nachvollziehbar.
So bringen nette Lehrer (und nur solche gibt es bei uns) Verständnis dafür
auf, daß Schüler in der Pause, der letzten Stunde vor den Ferien
oder nach Beendigung eines anstrengenden Projektes sich durch einige Spielchen
entspannen möchten. Dabei hoffen sie natürlich, daß auch die
Schüler Verständnis haben, nämlich dafür, daß im Informatikunterricht
systematisches Arbeiten gefragt ist, das Kreativität, Durchhaltevermögen,
Erfolgsoptimismus und die Fähigkeit zur Teamarbeit voraussetzt und trainiert.
An die Computer zu gehen, kann ja bedeuten, daß man nur ein fertiges Programm
„bedient“; es kann aber auch heißen, daß man dieses Programm
„beherrscht“, weil man es selbst mühsam erarbeitet und geschrieben
hat. Beide Tätigkeiten unterscheiden sich sehr: Während man sich mit
der ersten der Maschine anheimgibt, verlangt die zweite selbständiges Denken,
ist also formal bildend und entspricht damit den besten gymnasialen Zielen. Doch
genug der hehren Worte:
Wenn unser Unterricht nur dahingehend zu einem „Durchblick“ führt,
daß die Schwellenangst vor dem Computer abgebaut, blinde Technik- und
EDV-Gläubigkeit beseitigt und unreflektierte Programmbedienung, vor allem
in Form allzu großer Spielleidenschaft, eingedämmt werden - ich
glaube, dann ist schon viel erreicht.
Ulrich Kaspar in: Kardinal-von-Galen-Schule. Festschrift zum
50. Jubiläum, 1996