Der Biologieunterricht am KvG


Als ich im Jahre 1971 die Tätigkeit als Lehrer am KvG aufnahm, verfügte die Schule bereits über einen eigenen Unterrichtsraum für die Biologie, der ca. 40 Schüler faßte, und einen großen Sammlungs- und Vorbereitungsraum. Diese Räume beeindruckten leider lediglich durch ihre Größe, nicht aber durch ihre Ausstattung. Sie waren dort eingerichtet worden, wo sich heute die Räume vom Direktorzimmer bis zum Sekretariat befinden. Die Biologiesammlung bestand im wesentlichen aus älteren Büchern, Lehrtafeln für den Unterricht, einigen Tierschädeln und -präparaten (z.T. aus der klostereigenen Landwirtschaft), Muschel- und Schneckengehäusen aus der Südsee (von den Missionaren des Ordens eingebracht) und einer umfangreichen Schmetterlingssammlung, die dem Orden von einem Sammler gestiftet worden war.
An Geräten für den Unterricht existierten ein lichtschwaches Episkop zur Projektion von Abbildungen aus Büchern, ein Diaprojektor und 8 „Kleinstmikroskope”, mit denen eher Brechungsfarben als biologische Strukturen zu erkennen waren. Es gab damals im KvG nicht einen einzigen schuleigenen Filmprojektor! Laborgeräte und Chemikalien für Experimente im Biologieunterricht fehlten fast vollständig.
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Man kann den Unterricht, wie er hier erteilt worden war, als noch recht ursprünglich bezeichnen. Das Basiswissen lieferten Schulbücher, die im allgemeinen weit mehr als 20 Jahre hinter dem aktuellen Wissen herhinkten und so auf die rasanten Entwicklungen in allen modernen Teildisziplinen der Biologie nur sehr schwerfällig reagierten. Schwerpunkte des Unterrichts waren genaues Betrachten, Beschreiben, Skizzieren, Sammeln und Bestimmen von Pflanzen und Tieren sowie die menschliche Anatomie. Schuleigene Aquarien, Volieren und ein Schulgarten, zwischen dem roten Backsteingebäude und der Straße gelegen, lieferten einen Großteil des Anschauungsmaterials. In den „Mikrokosmos” drang man nur mit der Lupe ein, und die Disziplinen Stoffwechselphysiologie, Molekulargenetik, Neurophysiologie, Muskelphysiologie, Biochemie und auch Sexualkunde existierten im Unterricht noch gar nicht.
So lieferte der Unterricht eine recht vordergründige „Biologie zum Anfassen”. Tiefer gehende Aspekte wie Ursachen, Abläufe, Zusammenhänge und Verflechtungen konnten kaum sachgerecht thematisiert werden, da das Grundlagenwissen hierfür nicht verfügbar gemacht wurde. Biologie war zu dieser Zeit konsequenterweise im Fächerkanon der Schulen auch nur ein Nebenfach mit zwei Unterrichtsstunden pro Woche und ohne schriftliche Arbeiten, so daß an kleineren Schulen, wie dem KvG damals noch, fast der gesamte Biologieunterricht durch einen einzigen Fachlehrer erteilt werden konnte.
Glücklicherweise unterstützten die Schulleitung, der Orden als damaliger Schulträger und auch der Förderverein meine Bemühungen, die Voraussetzungen für einen zeitgemäßen Biologieunterricht zu schaffen. So konnten schon recht bald einige leistungsstarke Mikroskope, ein Filmprojektor, ein Kühlschrank, diverse Laborgeräte, Chemikalien und Demonstrations- bzw. Funktionsmodelle angeschafft werden.
Die Schulerweiterung mit einem Neubau der naturwissenschaftlichen Fachräume durch den neuen Schulträger, das Bistum, im Jahre 1977 schuf schließlich hervorragende Rahmenbedingungen für den Unterricht: Die Schule verfügt seitdem über zwei Unterrichtsräume pro Naturwissenschaft, von denen jeweils einer als Demonstrationsraum und einer als Schülerexperimentierraum eingerichtet ist. Außerdem wurde großer Wert gelegt auf eine moderne Ausstattung mit vielen Experimentiergeräten und -materialien, besonders auch für Schülerübungen. Besonders stolz sind die inzwischen sechs(!) Biologielehrer der Schule heute auf die 25 hervorragenden Schülermikroskope, 20 Binokularlupen, die Farbvideokamera, mit der im Mikro- und Makrobereich gearbeitet werden kann, sowie auf das Biokordsystem, mit dem Demonstrationsexperimente zur Neurophysiologie am menschlichen Körper durchgeführt werden können. Videorekorder, Overhead-, Dia- und Filmprojektor sind heute selbstverständliche Hilfsgeräte für den Unterricht. So können auch die aktuellen Fragestellungen der Biologie nach den Grundlagen der Lebensvorgange den Schülern sach- und fachgerecht nahegebracht werden.
Die Entwicklung des Schulfaches Biologie vom Nebenfach zum heutigen Grund- und Leistungskursfach der differenzierten Oberstufe mit völliger Gleichberechtigung allen klassischen Hauptfächern gegenüber zeigt, vor allem auch durch die Beliebtheit des Faches beim Schülerwahlverhalten, welcher Wandel in der Bedeutungszumessung sowohl generell als auch schulpolitisch erfolgt ist. lm Biologieunterricht werden heute, besonders in der Sekundarstufe II, folgende Schwerpunkte gesetzt: Cytologie mit Einzellern, Zelldifferenzierungen, Teilungsabläufen und den Zusammenhängen von elektronenoptisch erkennbaren Feinstrukturen und deren Funktionen; Physiologie mit den Abläufen und Steuerungsmechanismen der komplexen biochemischen Reaktionen in lebenden Zellen; Verhaltensbiologie mit ihren neurophysiologischen Grundlagen; Genetik mit ihren molekularen Grundlagen und ihrer brisanten aktuellen Entwicklung; Fortpflanzung und Entwicklung mit den Ursachen embryologischer Abläufe; Evolution mit den Grundprinzipien der Entstehung des Lebens auf der Erde und schließlich Ökologie mit der äußerst aktuellen Problematik der Gefährdung unseres Lebensraums durch von uns selbst produzierte und freigesetzte Schadstoffe und Gifte sowie durch von uns betriebenem Raubbau an der Natur. Es gilt heute vor allem, die Schüler mit den neuesten Entdeckungen und Entwicklungen vertraut zu machen und sie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit deren möglichen Konsequenzen zu befähigen. Dies ist aber nur zum Teil eine fachspezifische Aufgabe, sondern muß ein generelles interdisziplinäres Anliegen werden. Ich mochte hier im besonderen auf die neue Gentechnologie verweisen, mit deren Möglichkeiten zu genetischen Manipulationen voraussichtlich schon bald die Voraussetzungen geliefert werden, in für uns heute noch kaum zu ahnender Geschwindigkeit die Biosphäre Erde und ihre Lebewelt tiefgreifend zu verändern. Hierbei wird die seit der Entstehung der Erde vor ca. 4,5 Milliarden Jahren abgelaufene natürliche Evolution von einer durch den Menschen weitgehend manipulierten abgelöst werden. Wir alle können nur hoffen, daß wir dabei dem von unseren Vorfahren (sicherlich etwas voreilig) geprägten Artnamen „Homo sapiens” zumindest ein wenig gerecht werden.
Bernd Eisenhawer in: Kardinal-von-Galen-Schule 1946-1986. Festschrift zum 40jährigen Jubiläum des Gymnasiums, Münster 1986