Handlungsorientierter Unterricht im Fach Politik


[...] Das Prinzip der Handlungsorientierung tritt seit einigen Jahren [...] immer stärker in den Vordergrund [...]. Da politische Handlungsfähigkeit und solidarisches Handeln Ziele des Politikunterrichts sind, scheint dieser in besonderer Weise dazu geeignet, seine Inhalte auch durch eine adäquate Unterrichtsform zu vermitteln. Durch handlungsorientierten Unterricht kann ein Raum für soziale Entfaltungsmöglichkeiten und für den Wissenstransfer auf reale Lebenssituationen geschaffen werden. Und so sind gerade die Fächer Politik/Sozialwissenschaften gefordert, die ja zum Leben und Mitgestalten der demokratischen Gesellschaft erziehen sollen, wenn es um die Erziehung zu einem politisch handelnden, mündigen Bürger geht. Auf der Basis von Kreativität, Selbsttätigkeit und Kooperation kann besonders ein solch aktives Lernen die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen fördern. [...]
In einem Zusatzkurs Sozialwissenschaften der Jahrgangsstufe 13 wurde das Thema „Alte Menschen - eine Randgruppe der Gesellschaft“? bearbeitet. Dem Kurs SZ 13 wurde zu Beginn der Unterrichtsreihe der äußere Rahmen (freie Gestaltung einer Seite der Bistumszeitung „Kirche und Leben“) sowie das Unterrichtsthema bekanntgegeben. Nach einer von der Lehrerin geplanten Einführung in das Thema, die der theoretischen Fundierung diente (Aspekte der Randgruppenforschung), entwickelte der Kurs selbständig die Vorgehensweise: Zunächst sollten alte Menschen mittels eines Fragebogens zu ihrer Lebenssituation befragt und die Auswertung dann zusammen mit einer Antwort auf die Ausgangsfrage veröffentlicht werden.
Handlungsorientiertes Lernen bedeutet auch, daß man den Schüler sowohl in der Planungs- als auch in der Arbeitsphase in den Lernprozeß einbezieht bzw. ihn diesen aktiv und selbstverantwortlich gestalten läßt: Die Schüler/innen planen, entscheiden, organisieren, strukturieren (Lernen von Methoden); sie befragen, argumentieren, kooperieren (Entwickeln von sozial-kommunikativen Fähigkeiten); sie engagieren sich, lösen Probleme, zeigen Eigenverantwortung, gewinnen Selbstvertrauen (affektives, emotionales Lernen).
Diese Anforderungen wurden in der Arbeit des Kurses umgesetzt. So stellte die Kursgruppe z. B. gleich zu Anfang fest, daß die Befragung nicht wie geplant durchführbar war, da erstens eine Standardisierung der Fragen äußerst schwierig erschien und zweitens ältere Menschen eher zu Gesprächen oder zum Erzählen neigen als zu einer knappen Beantwortung der Fragen. Infolge dessen entschied man sich für die Form eines Interviews mit Hilfe von Leitfragen, wodurch das Gespräch zwischen Befragtem und Interviewer zwar strukturiert wird, der Interviewer aber die Möglichkeit hat, individuell Schwerpunkte zu setzen. Es war dem Kurs bewußt, daß dadurch die Objektivität eingeschränkt würde.
Da die Schüler/innen wußten, daß man zunächst eine Stichprobenbefragung durchführt, führten einige von ihnen ein Testinterview mit den eigenen Großeltern durch, wodurch die Verwertbarkeit der vom Kurs entwickelten Fragen bestätigt wurde. Ein weiteres Problem entstand bei der Entscheidung über die Auswahl der repräsentativ zu befragenden Personen. Der Kurs entschied sich u. a. wegen Zeitmangels für eine kleine Befragung von ausgewählten Personen aus Altersheimen oder Seniorentreffs („Erkundung vor Ort“), wohl wissend, daß dadurch nur eingeschränkt ein repräsentatives Ergebnis ermittelt werden konnte. An der Durchführung der in 3er Gruppen geführten Gespräche waren durchweg rüstige, an allen Lebensbereichen interessierte Personen beteiligt, die die Schüler/innen auch in Gespräche über sie selbst verwickelten (Betroffenheit/Kommunikalion). Die Beschäftigung mit der Situation alter Menschen bewirkte bei den Schüler/-innen auch ein bewußtes Reflektieren eigener Lebensentwürfe und Zukunftsbilder (Denken in Zusammenhängen) und machte ihnen deutlich, daß sich die Seniorinnen und Senioren durchaus nicht an den ,Rand der Gesellschaft' gedrängt fühlen. Wie erwartet, ließ sich kein geschlossenes Bild entwickeln, sondern ein aus Einzelschicksalen zusammengesetztes Mosaik.
Als es dann um den mehr pragmatischen Teil der Arbeit, nämlich die Erstellung der Zeitungsseite ging, wurde der zuständige Zeitungsredakteur als Experte hinzugezogen. Hier bemerkte der Kurs sehr schnell, was journalistisches Arbeiten bedeutet, nämlich auch Einengung durch Zwänge (Seitenlayout, Artikellänge). [...]
Gabriele Horstbrink in: Kardinal-von-Galen-Schule 1946-1996, Münster 1996