Philosophieunterricht (1946 - 1986)
1946 war auch ein Neubeginn für den Philosophieunterricht. Vorausgegangen
war jene dunkle Zeit, in der auch das aufklärende Licht der Philosophie
gelöscht war. Mit ihrer Anweisung „Erziehung und Unterricht in
der höheren Schule” von 1938 hatten die Nationalsozialisten alle
philosophisch orientierte, kritische Fragestellung sowie die aus philosophischer
Besinnung erwachsende Toleranz verdrängt zugunsten einer primitiven rassistischen
Ideologie.
Umso größer waren nach Kriegsende Hoffnungen und Erwartungen auf
die reformerische Kraft einer christlich-humanistischen Bildung, in deren
Zentrum („Sinnmitte der Reform“) die Philosophie stehen sollte.
Dem heute mit seinem Fach in „freier Konkurrenz” des Oberstufenangebots
unterrichtenden Philosophielehrer mögen die damaligen Formulierungen
der Bildungstheoretiker wohltuendes Selbstbewußtsein vermitteln: Philosophie
sollte helfen, „nicht nur die schweren Irrtümer der jüngeren
Zeit zu überwinden, sondern ebenso sehr die Nachwirkung veralteter Denkformen
auszuschalten, die im Vorraum der geistigen Verwirrung unseres Volkes gestanden
und zu ihr hingeführt haben” (G. Klemm in: Beiträge zum Phil.unterricht,
Hrsg. E. Fey, S. 85).
 |
| Joachim Paesler (1985) |
Dieses Pathos sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß
auch die Nachkriegsgeschichte des Philosophie-Unterrichtens das blieb, was sie
schon immer war: eine Geschichte der mehr oder weniger guten Gründe für
Philosophie als Bildungsgut - eine Geschichte der Legitimationsbemühungen.
Andere Fächer, die die erwünschten und unumstrittenen Kulturfertigkeiten
vermitteln sollen, haben es hier leichter, Philosophie als kulturkritisches
Instrumentarium mußte sich stets selbst rechtfertigen, schon die klassische
„Apologie” des Sokrates gilt weniger seiner Person denn der Philosophie.
So sah die Praxis denn auch bescheidener aus. Allein im Bundesland NRW wurde
die Philosophie kontinuierlich – und an math.-naturw. Gynmasien explizit
- in die Lehrpläne aufgenommen. An sprachlichen Gymnasien - so am altsprachlichen
KvG - wurde Philosophie Unterrichtsprinzip, nicht jedoch Fach der Stundentafel.
lnsbesondere den altsprachlichen Kollegen - so auch unserer Schule - wurde
hier eine „philosophische Vertiefung” zugewiesen.
Die nachfolgenden Jahre sind gekennzeichnet von dem Bemühen insbesondere
der Philosophielehrer und deren Verbände, das Fach fest zu etablieren -
aber auch durch Rückschläge durch die öffentliche Diskussion
des „Hinterwäldlertums” im deutschen Bildungswesen - man denke
an die Vorwürfe Steinbuchs („Falsch programmiert“) und Dahrendorfs
(Philosophie habe die Dominanz einer antiexperimentellen Wissenschaftsgesinnung
in Deutschland herbeigeführt).
Insbesondere den Bemühungen des Min.dir. Dr. Holzapfel ist es dann zu verdanken,
daß in NRW als einzigem Bundesland 1963 in den Primen aller Gymnasien
Philosophie in der Stundentafel zunächst als Wahlpflichtfach und ab 1965
als verbindliches Fach erscheint - und zwar mit einer Wochenstunde in U1 und
zwei Wochenstunden in O1. Am KvG war es m.W. zunächst nur StD Feldmann,
der diesen Unterricht betreute, unsere ehemaligen Primaner werden sich an die
von ihm geliebte Jaspersche Existenzphilosophie erinnern.
Auch die im Zuge dieses Erlasses damals von Holzapfel im Grundsatzreferat vertretene
These: „Jede andere Wissenschaft könnte in der Höheren Schule
eher entbehrt werden als die Philosophie“ (in: Die Schule in NRW, Heft
4, Ratingen 63, S. 45) beruhte keineswegs auf einem Konsens der Bildungstheoretiker.
Die Legitimationskrise des Philosophie-Unterrichtens wurde auf ganz anderem
Weg „gelöst”. Das entscheidende Ereignis war die 1972 getroffene
„Vereinbarung zur Neugestaltung der Oberstufe” durch die KMK. Die
inhaltliche Bedeutung der Einführung der differenzierten Oberstufe kann
hier m.E. nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie bedeutete praktisch
die Abkehr von den jahrzehntelangen Bemühungen, Bildung kanonisch zu fassen.
Geblieben sind einige (zugegeben wichtige) Randbedingungen - die Oberstufenschüler
werden sagen: noch viel zu viele - doch im wesentlichen definiert der Schüler
selbst durch seine Wahl, wo er die Schwerpunkte seiner „Qualifikation”
setzen will - sicher ein notwendiges Zugeständnis an die breiten Anforderungen
unserer wiss.-technischen Zivilisation und an unsere pluralistische Gesellschaft.
Mit dieser Abkehr von einer sich allgemein ausweisen-müssenden Bildungskonzeption
ist die offizielle Situation für Philosophieunterricht deutlich entspannt.
Ziemlich problemlos ist Philosophie als Grund- oder Leistungskursfach ins gesellschaftswissenschaftliche
Aufgabenfeld gerutscht, und die Rechtfertigungsbemühungen fürs Fach
finden sozusagen im „Privaten” statt: im Versuch, die Kursteilnehmer
bleibend fürs Thema Philosophie zu interessieren. Aus der Legitimationsaufgabe
wurde eine Motivationsaufgabe. Daß das nicht leichtfällt, zeigt die
nüchterne Zahlenstatistik des Kultusministers: Entschließt sich zunächst
noch etwa jeder 5. Schüler zum Kennenlernen des Faches zu einem Einführungskurs
in 11.1 , so wählen doch etwa 50% der Schüler das Fach nach dem Einführungskurs
ab. Nur jeder 12. Oberstufenschüler behält den Philosophieunterricht
bis zum Abitur bei. Am KvG ist es nicht anders.
Die Ursachen sind verschiedene, Entscheidendes liegt m.E. in der philosophischen
Unterrichtsmethodik: eher Fragen statt Antworten, eher Probleme statt Fakten,
kein Lehrbuch, weniger kalkulierbarer Unterrichtserfolg für den Schüler,
die nicht immer vermeidbaren „schwierigen” philosophischen Texte…
In der „freien Konkurrenz” der Fächer gibt es für die
Schüler leichter Zugängliches und befriedigender Erlernbares.
Und dennoch: die guten Gründe für Philosophieunterricht sind eher
noch bessere geworden. Ist Philosophie der Versuch, „ihre Zeit in Gedanken
zu fassen” (wie Hegel meint) – das Medium, in der die Zeit sich
bewußt wird, so hat Philosophie in der freien Konkurrenz der Oberstufenfächer
durchaus Wichtiges zu bieten. Durch ihr Fragen und geordnetes Denken sind hinter
der Welt angeblicher „Sachzwänge“ wir selbst mit unseren Entscheidungen
als ursächlich zu erkennen. Das ist zum Handeln befreiende Voraussetzung,
und Handlungsorientierung tut Not, wenn wir‘s nicht bei bloßer Produktions-
und Konsumsteigerung belassen wollen. Radikal zeigen sich heute die Grenzen
ins Vertrauen an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt; die Probleme
der Gentechnologie, der strategischen Rüstung, der neuen technologischen
Revolution erschüttern zu Recht die Wissenschaftsgläubigkeit der Moderne.
Aber auch die Abkehr von dieser vielen angstmachenden Zivilisation und Hinwendung
zu neuer Mythologie und neuem lrrationalismus ist keine Alternative, sondern
bedrohlich. Wir dürfen das bewußte Bedenken nicht aufgeben - unsere
menschlichen und gesellschaftlichen Probleme müssen wir schon mit Philosophie
lösen. Philosophie bleibt die Bedingung der Möglichkeit der bewußten
Gestaltung unserer Zukunft.
Joachim Paesler in: Kardinal-von-Galen-Schule 1946-1986. Festschrift zum
40jährigen Jubiläum des Gymnasiums, Münster 1986