Erzählung und Referat von Pia Hoppenberg im Erdkundeunterricht der Klasse 8a, März 2004
Überfallen
Es ist ein kühler Morgen. Die Prärie ist gefroren und glitzert
wie die Sterne, die noch vor ein paar Stunden den Himmel bevölkerten. Aber
nun sind sie verblasst, und der östliche Horizont färbt sich langsam
rot. Mit der Sonne erwachen auch die Bewohner des Dorfes der Dakota. Heute ist
ein besonderer Tag, da heute die Krieger des Stammes auf die Jagd gehen. Lange
mussten die Menschen hungern, doch nun haben die Kundschafter endlich frische
Büffelspuren gefunden. Es ist fast ein Wunder, dass es überhaupt noch
Büffelherden gibt, denn die Weißen erschießen sie massenhaft.
Ihre Felle und ihre Zungen erzielen viel Geld, und außerdem fürchten
sich die „Weißaugen“ vor diesen mächtigen Tieren. Alle hoffen,
dass diese Büffel den Weißen noch nicht zum Opfer gefallen sind,
denn sonst müssen alle im Winter Hunger leiden.
Die Krieger machen sich zum Aufbruch bereit. Sie bemalen sich und ihre schnellsten
Pferde, und die Frauen bringen ihre beste Kleidung und ihre wertvollsten Waffen.
„Heute abend wird der Hunger ein Ende haben!“, verspricht der Häuptling,
als sich alle auf ihre Pferde schwingen.
Little Bear, der Sohn des Medizinmannes, verfolgt alles mit großen Augen. Am
liebsten würde er seinen Vater und seinen älteren Bruder auf die Jagd
begleiten. Aber stattdessen muss er im Dorf bleiben und seiner Mutter dabei
helfen, seine kleine Schwester zu versorgen, Wasser oder Holz zu holen und das
Tipi auszubessern. Little Bear würde sich am liebsten weigern, aber wenn
seine Mutter ihn um etwas bittet, darf er sich nicht weigern.
Die Krieger werden in der Ferne immer kleiner, und wie immer, wenn die Männer aufbrechen, um zu jagen,
herrscht eine ängstliche Stimmung im Dorf. Alle Frauen, Kinder und Alten
haben Angst, dass ihre Männer, ihre Brüder oder ihre Söhne nie
wieder kommen. Es kommt nicht selten vor, dass die Krieger aus dem Hinterhalt
von Weißen überfallen werden. Nur wenige überleben einen solchen
Überfall.
Auch Little Bear fürchtet um seinen Vater und seinen Bruder, aber nun hat
er andere Sorgen. Seine Mutter schickt ihn los, um Wasser zu holen, und es ist
ein weiter Weg zu Fuß bis zu dem Fluss. „Je eher du aufbrichst, desto
schneller bist du wieder zurück“, erklärt seine Mutter ihm und
drückt ihm den Wasserbeutel aus Büffelhaut in die Hände. Schmollend
macht Little Bear sich auf den Weg. Er stellt sich vor, wie es wäre, jetzt
bei seinem Vater zu sein. Das wäre bestimmt viel besser, als jetzt hier
Wasser zu holen. Gedankenverloren sieht er über die Prärie und blinzelt
in die rote Sonne, die nun immer höher steigt. Es wird ein schöner
Tag werden.
Plötzlich sieht Little Bear etwas am östlichen Horizont. Es ist eine
Gruppe Reiter, die rasch näher kommt. Das können unmöglich schon
die Krieger sein. Meistens kommen sie erst wieder, wenn die Sonne sich schon
wieder senkt. Little Bear überschattet die Augen, um zu erkennen, ob es
vielleicht Krieger eines anderen Stammes sind. Doch dann setzt fast sein Herz
aus. Das sind keine Indianer. Das sind weiße Soldaten. Sie kommen direkt
auf ihn zu. Little Bear lässt sofort den Beutel fallen und rennt zurück
zum Dorf. Er muss die Dakota warnen, denn sonst sind alle verloren. Schon oft
wurde sein Dorf überfallen, und oft hat es sehr wenig Überlebende
gegeben. Die Soldaten schießen auf alles, was sich bewegt. Sie kennen
kein Erbarmen und haben schon oft ganze Stämme vernichtet. Das hat Little
Bear schon oft genug gesehen und gehört. Er weiß auch, dass sie vor
fünfjährigen Jungen nicht Halt machen.
Little Bear wird immer schneller. Bald hat er das Dorf erreicht, doch plötzlich
stolpert er über einen Stein und stürzt auf den hart gefrorenen Boden.
Seine Knie und Hände schlagen auf und beginnen zu bluten, doch jetzt ist
keine Zeit für Tränen. Er muss weiter, denn sonst ist das Dorf verloren.
Little Bear rappelt sich auf und rennt weiter. Der Schweiß rinnt ihm über
das Gesicht, und er bekommt kaum noch Luft, aber er gibt nicht auf.
Doch
die Soldaten haben ihn bereits gesehen. Einer von ihnen legt auf Little Bear
an und feuert drei Schüsse auf ihn ab. Der Junge stürzt und bleibt
liegen. Die Kugeln haben seinen dünnen Körper durchschlagen und sein
Herz zerschmettert. Das Blut läuft aus Brust und Rücken und färbt
den gefrorenen Boden rot. Die Soldaten reiten langsam an ihm vorbei. „Der ist
tot“, sagt einer von ihnen. „Kommt, lasst uns weiter reiten. Ich möchte
möglichst schnell kurzen Prozess mit diesen verdammten Rothäuten machen.“
Langsam bewegt sich die Gruppe von Soldaten weiter auf das Lager zu. Es scheint
von drei Schüssen nicht gewarnt zu sein, denn alles ist ruhig. Wortlos
gibt der Führer der Gruppe den Männern ein Zeichen, und alle treiben
ihre Pferde ins Dorf hinunter.
Später kommen die Krieger von der Jagd zurück. Sie sind glücklich,
da sie viele Büffel geschossen haben. Das Fleisch wird für den ganzen
Winter reichen. Doch schon von weitem sehen sie eine riesige Rauchfahne über
dem Dorf. Beunruhigt treiben sie ihre Pferde zur Eile an.
Als sie ins Dorf hinuntersehen, können sie kaum fassen, was passiert ist.
Das Lager ist ein Meer von Blut. Die Tipis stehen in Flammen und die Frauen,
Kinder und Alten liegen erschossen und skalpiert in ihrem eigenen Blut. Selbst
vor Säuglingen haben die Soldaten nicht Halt gemacht. Keiner hat in dem
Lager überlebt. Wortlos beginnen die Krieger ihre Toten zu bestatten und
machen sich dann auf den Weg sich zu rächen.
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| Little
Six (Shakopee), einer der Anführer des Sioux-Aufstandes. Quelle:
www.indianer.de |
Erschossen oder verseucht
Die Dakota sind nicht der erste Stamm, dem es so geht. Es gibt hundert ähnliche Schicksale,
bei denen manchmal sogar ganze Stämme ausgelöscht wurden. Heute gibt
es beispielsweise die Mandan nicht mehr. Der im Norden der Prärie lebende
Stamm nahm ein jämmerliches Ende. Er fiel schon im frühen 18. Jahrhundert
den Pocken zum Opfer und war in kurzer Zeit dahingerafft. Die Anfälligkeit
der Indianer für Krankheiten nutzten die Weißen oft schamlos aus.
Wenn es um Bodenschätze wie z. B. Gold, Kupfer oder Kohle und um Siedlerland
ging, waren die Soldaten oft skrupellos. Ein beliebtes Mittel, die Indianer
los zu werden, war es, ihnen mit Krankheiten verseuchte Decken zu geben. Die
Indianer kannten die Pocken oder die Pest nicht und hatten daher auch keine
Abwehrkräfte dagegen. Selbst eine Grippe oder eine ähnlich leichte
Krankheit, woran wir nur drei Tage leiden würden, konnte bei den Indianern
schon tödlich ausgehen. Daher war es für die Weißen leicht,
sie aus dem Weg zu räumen. Die Indianer tauschten manchmal mit den Weißen,
z. B. Biberfelle gegen Decken. Da hatte man leichtes Spiel. Man gab ihnen für
die Biberfelle mit Pocken verseuchte Decken und wartete ab. Man brauchte sich
nicht lange zu gedulden. In wenigen Tagen konnte man ein Indianerdorf voller
Leichen vorfinden.
Ein weiteres Mittel war es auch, den Indianern die Büffel zu vertreiben
oder sie zu erschießen. Die Weißen hatten Angst vor diesen mächtigen
Tieren, da ein paar Büffel ausreichen, eine Farm in den Boden zu stampfen.
Aber ihre Felle und ihre Zungen waren auch sehr wertvoll, und daher konnte man
mit dem Erschießen der Büffel drei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Erstens konnte man damit die Farmen retten, zweitens konnte man eine ganze Menge
Geld verdienen und drittens konnte man die Indianer dem Hungertod überlassen.
Es gab aber auch viele, denen das zu langsam ging. Ein gutes Beispiel dafür ist
der Kampf um die Paha Ssapa, die wir als die Black Hills kennen. Im Jahr 1874
fand man in diesen Bergen, die den Prärieindianern heilig sind, Gold. In
Massen strömten Goldsucher in die Berge und versuchten die Indianer immer
weiter zurück zu drängen. Doch viele Indianer weigerten sich strikt,
die Paha Ssapa aufzugeben. Die Weißen versuchten es erst damit, dass sie
ihnen Gold für diese Berge anboten. Darauf sagte Red Cloud, der Häuptling
der Brùle Sioux und einer der erbittertsten Kämpfer gegen die Weißen:„
Dieses Gold ist uns nicht mehr wert als der Boden, über den wir und unsere
Pferde schreiten.“ Damit war alles gesagt, und die Weißen griffen
nun zu drastischeren Maßnahmen. Sie schickten Soldaten los, die ein Massaker
nach dem anderen in den Indianerdörfern anrichteten, und zwangen die Indianer
so ihre Lager zu verlegen. Doch einige leisteten Widerstand. Sitting Bull, der
Häuptling der Hungkapa-Sioux, sollte im Januar 1876 sein Lager um 400 km
verlegen. Als er sich weigerte, sahen die Soldaten darin ein Zeichen für
Feindseligkeit und sandten ein Militärkommando gegen die „Aufsässigen“
aus. Daraufhin sammelte Sitting Bull die Hungkapa-Sioux und die Ogalala-Sioux
unter dem jungen Häuptling Crazy Horse um sich und hielt den traditionellen
Sonnentanz ab. Dabei hatte er eine Vision. Er sah Soldaten in Scharen vom Himmel
kommen. Das bedeutete den sicheren Sieg. Kurz darauf griff das Militär
von General George Custer das riesige Indianerlager an. Aber der hatte sich
gewaltig verrechnet. Sein Heer, das gerade mal aus 211 Soldaten bestand, konnte
vor den 2000 wütenden, gut ausgerüsteten Indianern nicht bestehen.
Sie töteten Custer und alle seine Soldaten. Die Schlacht am Little Big
Horn war gewonnen, und die Vision von Sitting Bull hatte sich bewahrheitet.
Diese große Schlacht sollte jedoch die letzte sein, die die Indianer gewannen.
Nach dem aussichtslosen Freiheitskampf waren die meisten Indianer tot. Manche
Stämme hatten die furchtbare Niederlage nicht mehr erlebt, doch auch nach
dem geplatzten Traum vom Sieg starben viele.
Als sich im Jahr 1890 die Hungkapa-Sioux nach dem Tod ihres Häuptlings
Sitting Bull in einem Reservat ergaben, bekamen sie am 28. Dezember am Bach
"Wounded Knee" den Befehl, ihre Waffen abzugeben. Als keiner der Indianer
mehr ein Gewehr in der Hand hatte, fiel ein Schuss. Das war das Zeichen –
mit Schnellfeuergewehren und Kanonen metzelten die Soldaten Krieger, Frauen,
Kinder und Alte erbarmungslos nieder. Die Überlebenden versuchten zu fliehen,
aber die Soldaten verfolgten und töteten sie. Fast 300 Indianer kamen ums
Leben. Mit diesem Blutbad hatten die Weißen das erreicht, was sie wollten.
Sie hatten den Willen der Indianer zur Freiheit gebrochen und sie damit zur
Kapitulation gezwungen.
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| Siedlung im Indianerreservat in South Dakota. Quelle: Diercke Erdkunde
für Gymnasien in Nordrhein-Westfalen Bd. 8, Braunschweig, Westermann
1996 |
Wie leben die Indianer heute?
Nach ihrer endgültigen Niederlage versanken die meisten Indianer in tiefer Hoffnungslosigkeit
und Trauer. Sie hatten ihre Freiheit und ihre Heimat verloren, sie hatten keine
Arbeit und konnten nicht mehr so leben, wie sie es gewohnt waren. Ihren Lebensmut
hatten sie eingebüßt. Viele fanden nur Trost im Alkohol, „Feuerwasser“
oder in Drogen.
Heute gibt es in den USA und in Kanada 3 Millionen Indianer und Mischlinge,
die sich zu den Indianern zählen. Etwa ein Drittel wohnt in einer Reservation,
und das ist oft mehr als eine Quälerei, denn dort gibt es kaum Arbeit,
und viele leben von Sozialhilfe. Auch ist das Land, das man den Indianern zur
Verfügung gestellt oder besser gesagt, wohin man sie abgeschoben hat, oft
nicht fruchtbar genug, um Landwirtschaft zu betreiben. Daher können die
Indianer sich nicht so ernähren, wie sie es gewohnt waren.
Oft versuchen einigermaßen gut Ausgebildete ein neues Leben in der Welt
der Weißen anzufangen. Aber das klappt oft nicht, da ihre geringe Bildung
oft nicht reicht, um eine vernünftige Arbeit zu finden. Die bestbezahlte
Arbeit ist in Indianermuseen zu finden, denn wer könnte neugierigen Touristen
mehr über die Ureinwohner Amerikas erzählen, als ein Indianer selbst.
1890, als die meisten der großen Häuptlinge tot waren und alle Stämme
kapituliert hatten, glaubte man, dass der Kampf nun endgültig vorbei sei.
Doch in den vergangenen Jahrzehnten flammte der Kampf erneut auf, denn in einigen
Reservationen lagen kostbare Bodenschätze: bei den Blackfoot in Montana
Öl und Gas, bei Ojibwa in Wisconsin Kupfer und bei den Navajo in Arizona
Kohle und Uran. Oft kümmerten sich die amerikanischen Firmen nicht um die
geltenden Verträge und bauten die Bodenschätze ab. Die Navajo stimmten
zwar dem Abbau zu, aber sie ahnten nicht, was dies für furchtbare Folgen
haben sollte. Die Landschaft wurde zerstört, und das Grundwasser wurde
vergiftet. In Uran sind giftige Stoffe vorhanden, die zu Missbildungen bei Menschen,
Tieren und Pflanzen führen. Auch sind sie Urheber von Krankheiten: alle
Arten von Krebs, Fehlgeburten, Unfruchtbarkeit und Missbildungen bei neugeborenen
Kindern.
Doch das ließen die Indianer nicht länger zu: Sie wollen nicht mehr
als unterdrückte Minderheit angesehen werden. Sie besinnen sich auf ihre
alten Sitten und Gebräuche, auf ihre Stammessprache und ihren Glauben –
und sie klagen ihre Rechte ein. Trotzdem gehören sie immer noch zu den
sozialen Randgruppen Nordamerikas.
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| Siedlungsgebiete der Indianer im 16. Jahrhundert und heute. Quelle: ebd. |