Geht es Ihnen gut? - Oder haben Sie auch Kinder in der Schule?

Ein Plädoyer für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Familie und Schule

Eltern schulpflichtiger Kinder kennen die Probleme, die die Schulzeit mit sich bringt. Mit der Einschulung der Kinder beginnt eine Phase des Familienalltags, die künftig vom Schulalltag entscheidend mitgeprägt ist. Der Schuleintritt bedeutet für die Eltern alles andere als eine Entlastung von Erziehungsaufgaben. Diese werden vielmehr vielfältiger und komplizierter. Die Familie hat für entsprechende Lerneinstellungen, Arbeitshaltungen und Verhaltensformen zu sorgen. Das Nacharbeiten des Lernstoffes, Unterstützung bei den Hausaufgaben, Vorbereitung von Klassenarbeiten, Hilfen dieser Arten werden von der Schule erwartet und - entgegen anderslautenden Behauptungen - auch vorausgesetzt. Eltern sollen Schulkrisen abfangen, Mißerfolge und Beziehungsprobleme verarbeiten helfen, bei ungerechter Behandlung und Überforderung beim Lehrer vorsprechen. Schulstreß des Kindes bedeutet auch immer Streß für die Eltern.
Überall dort, wo in unserer Gesellschaft Defizite zu beklagen sind, glaubt man die Ursachen zu kennen. Die Familie ist schuld, wer sonst? Werteverlust, übersteigertes Konsumverhalten, Medienhörigkeit - die Familie hat versagt. Generationen unerzogener Kinder werden auf die Schule losgelassen, und die soll dann ausgleichen, was im Elternhaus versäumt wurde. Die Schule als Therapieanstalt! Kein Wunder, daß Lehrer zunehmend klagen und sich bei dieser Aufgabe überfordert fühlen. Die Eltern werden zu alleinigen Sündenböcken der Gesellschaft abgestempelt. Defizite bei Kindern und Jugendlichen sind aber nicht allein von Eltern verursacht. Auch wir sind Kinder unserer Zeit und ein Spiegelbild unserer pluralen Gesellschaft.

Eltern-
sprechtags-
impressionen

November
2000


Eltern tragen sicher nicht die alleinige Verantwortung für erzieherisches Fehlverhalten, denn die Schwächung für Erziehungsfähigkeit ist von der Gesellschaft selbst herbeigeführt worden. Wertorientierte Erziehung und elterliche Autorität sind in den Medien und der pädagogischen Diskussion oft in Mißkredit gebracht worden. Das Resultat war eine erhebliche Verunsicherung und Resignation auf Elternseite.
Die Welle von Gewalttaten Jugendlicher oder die steigende Anzahl Drogenabhängiger hat die Forderung nach mehr Erziehung laut werden lassen. Da, wo Elternhaus und Gesellschaft dieser Forderung nicht mehr nachkommen können, muß Schule und müssen Lehrer als Rettungsanker her. Erziehender Unterricht heißt die „neue“ Philosophie. Nicht nur Wissensvermittlung, auch Persönlichkeitsbildung sollen in der Schule geleistet werden.
Bei der Bewältigung zukünftiger Probleme und Forderung nach mehr Erziehung scheint es mir zwingend erforderlich zu sein, daß sich Eltern und Lehrer um eine intensive Erziehungspartnerschaft bemühen müssen. Die Persönlichkeitsbildung eines Kindes macht ein Zusammenwirken unerläßlich. Die Idee ist keineswegs neu, scheitert aber immer wieder an allzu menschlichen Komponenten. Das Bundesverfassungsgericht spricht von der gemeinsamen Aufgabe von Eltern und Schule, welche die Bildung der Persönlichkeit des Kindes realisieren soll. Auch die katholischen Bischöfe heben immer wieder die gemeinsame Verantwortung und die Notwendigkeit der Zusammenarbeit hervor: „Zusammen mit den Eltern soll das Erziehungs- und Bildungsprogramm jeder einzelnen Schule erarbeitet und verwirklicht werden“. Nur wie man das verwirklichen soll, darüber wird nirgends etwas gesagt. In der Praxis gestaltet sich das partnerschaftliche Miteinander häufig sehr schwierig, besonders dann wenn es um Lern- und Erziehungsschwierigkeiten geht. Gegenseitig schiebt man sich die Verantwortung für das Versagen des Kindes zu. Schuldzuweisungen auf beiden Seiten, Verständnislosigkeit gegenüber dem Problem des anderen, eigenes Anspruchsdenken. Besserwisserei und Rechthaberei, Mißtrauen und Vorurteile sind jedoch unvereinbar mit einem partnerschaftlichen Miteinander. Soll Erziehungspartnerschaft aber wirklich gelingen, so ist das Bewußtsein um die gemeinsame Verantwortung für die Erziehung des Kindes eine wichtige Grundvoraussetzung. Sie verlangt großen Einsatz von beiden Seiten und lebt von der Bereitschaft, Partnerschaft auch zu wollen. Werden Schule und Erziehung zur Demonstration von Macht und Stärke mißbraucht, so kann das Zusammenwirken zwischen Eltern und Lehrer nicht gelingen. Nicht Konkurrenz der erziehenden Einflüsse in Familie und Schule, sondern Kooperation auf der Basis des gegenseitigen Vertrauens dient dem Wohl des Kindes als gemeinsames Ziel.

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November
2000


Wie sieht das konkret aus? Eltern müssen die fachliche und pädagogische Kompetenz des Lehrers akzeptieren. Sie müssen sich frei machen von der Voreingenommenheit: „Was für mein Kind gut ist, weiß ich selbst am besten“. Die subjektive Sichtweise geht oft einher mit überhöhten eigenen Erwartungen. Erziehungspartnerschaft verlangt aber Engagement. Leider sind viele Eltern nicht bereit, sich über die Verantwortung für das eigene Kind hinaus für die Schule zu engagieren. Sie sind froh, wenn sie von der Schule nichts hören. Die Sorge, es wirke sich nachteilig für das eigene Kind aus, wenn auch einmal Kritik geäußert werde, hält Eltern ab, sich zu engagieren. Auf der anderen Seite müssen Eltern auch erwarten dürfen, daß Lehrer die erzieherische Kompetenz der Väter und Mütter anerkennen und sie nicht als pädagogische Amateure sehen, die nur aus ihrer biologischen Funktion heraus ein Mitspracherecht herleiten können. Schulische Erziehung muß immer eine elterliche Erziehung mit einbeziehen. Das heißt, laßt uns miteinander reden. Ideal wäre es natürlich, wenn der Dialog von gegenseitigem Vertrauen geprägt wäre. Da wir uns als Partner nicht ausgesucht haben und eher zufällig aufeinander treffen, ist das nicht immer leicht. Partnerschaft in der Erziehung erfordert eine möglichst unvoreingenommene Wahrnehmung der Situation, um gemeinsam die Ursachen herauszufinden und Lösungen anzubieten. Es gilt, das eigene Verhalten selbstkritisch zu überdenken. Ein hohes Maß an persönlicher Konfliktfähigkeit ist erforderlich, das leider nicht immer gegeben ist. Wer sich nicht kennt und menschlich nicht schätzt, ist kaum in der Lage, Probleme zu lösen. Aber die gegenseitige Achtung der Erziehungskompetenz und das Vertrauen in die guten Absichten des jeweils anderen führen zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit, aus der uns beiden, Eltern und Lehrern, Hilfe erwächst. Das bedeutet:
- einander ernst nehmen
- einander etwas zutrauen
- einander vertrauen.
Wir brauchen in Zukunft ein größeres Maß an Übereinstimmung in den Zielvorstellungen und die Bereitschaft zu mehr Zusammenarbeit und Erziehungspartnerschaft, um die junge Generation gegen gesellschaftliche Strömungen „anders“ zu erziehen. Laßt uns gemeinsam an einem „Haus des Lernens“ bauen [...]
Helga Reimann in: Kardinal-von-Galen-Schule 1946-1996, Münster 1996