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Lebensbedingungen in Tilata
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Zivildienst in Bolivien

Stefan Krause-Isermann (Abitur 2007 am KvG)

Das Projekt Sariry


Bolivien ist das mit Abstand ärmste Land Südamerikas. Nirgends ist die Kindersterblichkeit so hoch, die Lebenserwartung so niedrig, die soziale Kluft so groß und das Durchschnittseinkommen so klein. Putsche und Volksaufstände erschüttern das Vertrauen ausländischer Investoren, der breiten Masse der Bevölkerung bleibt die Teilhabe an der politischen Macht verwehrt.
Die verarmte Landbevölkerung strömt mit der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen in die Städte. Doch es werden damit große soziale Probleme in den Ballungszentren verursacht, wie in Tilata, einem Dorf inmitten des Brennpunkts der Armut:
In La Paz ist das Wachstum der Stadt so groß, dass offizielle Zahlen über die Anzahl der Einwohner im Ballungsgebiet um beinah 1 Mio. schwanken. Die Verwaltung hat völlig die Kontrolle über die Stadt verloren. Durch die enorm wachsenden Einzugsgebiete bleiben die Viertel ohne Strom- und Wasserversorgung oder gar ein Abwassersystem. Schlechte hygienischen Bedingungen verbreiten Cholera und Typhus-Seuchen, eine kaum ausreichende medizinische Versorgung bekämpft Hepatitis A und B. Die Analphabetenrate liegt bei nahezu 90%, die Arbeitslosigkeit liegt weit über dem Landesdurchschnitt. Viele Familien haben weniger als 30 $ im Monat zum Überleben.
Vor einigen Jahren wurde die Stiftung FUNDACION SARIRY gegründet. SARIRY kommt aus dem Aymara, der Sprache der Indios, und bedeutet „Gemeinsam nach vorne gehen“.
Grundlage für die Projektarbeit bietet ein kleines projekteigenes Schulhaus mit zwei Klassenzimmern und einer Aula. Dort werden die Kinder betreut. Die Erziehung orientiert sich vorwiegend daran, selbständiges Denken und Handeln zu fördern und einen Bogen zwischen den meist bäuerlichen Traditionen und der modernen urbanen Welt zu spannen.
SARIRY geht davon aus, dass nachhaltiger Fortschritt nur dann möglich ist, wenn man möglichst umfassende Maßnahmen ergreift: So kann die positive Entwicklung der Kinder nur geschützt werden, wenn man gleichzeitig dafür sorgt, dass die Eltern, das soziale Umfeld und die Gemeinde diese Entwicklung tragen können. Die meist alleinerziehenden Mütter haben durch die ganztägige Kinderbetreuung im Projekt nun die Möglichkeit, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Ihnen wird mit Unterstützung bei der Arbeitssuche und Abendschulungen zusätzlich unter die Arme gegriffen. Regelmäßige medizinische Untersuchungen und Impfungen gehören ebenso zum Repertoire der Projekthilfe wie das gemeinsame Feiern traditioneller Feste.
Das Besondere an SARIRY ist, dass die Initiative von den Betroffenen in Tilata selbst ausgeht und dass jeder im Projekt durch demokratische Teilhabe in die Entscheidungen eingebunden ist.
Der SARIRY Deutschland e.V. ist seit 2005 ein anerkannter Träger für den sog. „Anderen Dienst im Ausland“, der als Ersatz für den Zivildienst gelten kann.
Aus: www.sariry.de; dort weitere Informationen
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Schule des Projektes Sariry
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Abendstimmung in Tilata La Paz - ein atemberaubender Blick
Fotos: Stefan Krause-Isermann; www.sariry.de

Stefan berichtet über seine ersten Eindrücke:


Im Projekt Sariry werde ich mich hauptsächlich um die Kinderbetreuung kümmern. Darüber hinaus will ich aber auch versuchen, ein wenig Englisch zu unterrichten und organisatorische Aufgaben zu übernehmen. Vieles wird sich wohl erst vor Ort ergeben und entwickeln. Durch meinen Einsatz will ich dazu beitragen, den Horizont der Kinder und Jugendlichen zu erweitern. Für sie ist es eine wichtige Erfahrung, dass sich Menschen aus anderen Ländern für sie interessieren.

Sonntag, 19. 08. 2007
Ich bin in La Paz und kann sagen: Es ist irgendwie meine Lieblingsstadt. Es ist wirklich ein äußerst beeindruckender Blick von oben auf die Stadt, wenn man mit dem Bus ankommt. Und solche Blicke kann man hier an jeder Ecke haben (wenn man hoch genug ist)! Eine ziemlich große Stadt, die größtenteils wirklich an den Berg „geklatscht“ ist. Das führt natürlich dazu, dass ein bisschen Spazierengehen gleich ziemlich anstrengend ist, aber es lohnt sich, denn es gibt viel zu sehen. Zum Beispiel einkaufen: Richtige Supermärkte habe ich noch nicht entdeckt, das größte sind „Tante-Emma-Läden“, normalerweise kauft man alles, was man braucht, an kleinen bis sehr kleinen (= Kiste Äpfel) Ständen auf der Straße (von denen es unglaublich viele hier gibt). Verkauft wird meistens von älteren Frauen, die wirklich diese klischeehafte traditionelle Kleidung anhaben, und meistens in der Lage sind, nach dem Verkaufen ihren Stand in ebenso klischeehafte traditionelle (ganz hübsche) bunte Tücher zu packen und auf den Rücken zu nehmen. Ich will hier kein Loblied der Wirtschaftsform des kleinen Einzelhändlers anstimmen und nicht die bösen fabrikhaften westlichen Supermärkte verfluchen - aber das hat schon was!

Mittwoch, 22. 08. 2007
Vormittags ist immer wenig los im Projekt. Heute war aber eine Schulklasse zu Besuch zum Sexualkundeunterricht. Nach einer Stunde sind wir dann mit den Schülern zu ihrer Schule gegangen, ich dachte, da würde der Unterricht weitergehen. Als wir ankamen, standen aber auf dem Schulhof die Schüler in Reih und Glied und natürlich in Uniformen. Wir wurden zu einigen wichtig aussehenden Würdenträgern geführt und landeten schließlich auf der Ehrentribüne gegenüber den aufgestellten Kindern. Das war schon ein komisches Gefühl, plötzlich zu dieser Art von Menschen zu gehören, die Leute vor sich antreten lassen. Dann gab’s ein paar Kommandos vom Rektor: stillgestanden, 'rumdrehen. Für mich war das schon - wie soll ich sagen - „erschreckend“ trifft’s nicht ganz.
Wieso „Rumdrehen“? Auf der anderen Seite wurde die Flagge gehisst - Militarismus und Nationalismus sind halt mehr als gute Bekannte... Dann aufstehen, Nationalhymne, begleitet von ordentlichem „Uffta“ aus einem Lautsprecher. Beruhigend, dass nach 5-6 Minuten kaum einer mehr den Text wusste. Danach eine (nicht besonders kindgerechte) Rede eines sehr wichtigen Mannes, und dann noch die Hymne des Departamentos La Paz. Hat NRW eine Hymne?
Es ging weiter mit Reden, irgendwann habe ich herausgefunden, dass es bei der Zeremonie darum ging, das Schulgebäude, vor dem wir saßen, einzuweihen. Aha. Und ich Ehrengast. Wieso auch immer.
Etwa 10-20 Mütter bedankten sich anschließend und streuten jedem von uns wichtigen Menschen auf der Ehrentribüne weiße Blütenteile auf den Kopf, bis der ganze Bereich zugeschneit war. Bittebitte, gern geschehen.
Dann gab’s noch eine Präsentation einer Aymara-Tanzgruppe, und danach wurden die neuen Schulgebäude mit Champagner eingeweiht, und es gab Essen. Wir standen dabei im Kreis in den neuen leeren Klassenräumen, jeder mit einem Teller in der Hand (mit Hühnchen, das finden hier alle immer großartig, aber ohne Besteck). Die eine Hälfte des großen Kreises waren Mütter, die andere wichtig.
Ich weiß nicht, ob man sich das jetzt einigermaßen vorstellen kann - ich hoffe, es kommt über, dass das Ganze eine witzige und sehr interessante (und auf eine andere Art natürlich auch mittelfurchtbare) Sache war.
Stefan Krause-Isermann