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Theresa geht mit den Kindern spazieren. Sie lieben das.

FSJ in Ruanda

Theresa Gleitz (Abitur 2006 am KvG)

Im Land der tausend Hügel

Ein Jahr Ruanda: Theresa Gleitz arbeitet mit behinderten Kindern

Nach dem Abitur stellt sich die Frage: Was nun? Ausbildung oder Studium?
Für mich war klar, dass ich vor dem Studium etwas Praktisches mache, um mich für andere Menschen einzusetzen. Ein Flyer über die Möglichkeit eines Freiwilligen Friedensdienstes im Ausland weckte sofort mein Interesse, ich bewarb mich und bekam eine Zusage für eine Stelle in Ruanda. Im August ging es los ins „Land der tausend Hügel“, das ich bis dahin nur aus Erzählungen und Büchern kannte.
Nun bin ich seit fünf Monaten in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda und arbeite für einen Partnerschaftsverein zwischen Ruanda und Rheinland-Pfalz. Drei Tage in der Woche arbeite ich in Gahanga, einem Dorf etwa 30 Autominuten von Kigali entfernt. Dort gibt es ein Zentrum für behinderte Kinder und Jugendliche, welches von den Schwestern „Amis des Pauvres“ („Freunde der Armen“) geleitet wird. In dem Zentrum wohnen 31 Kinder und junge Erwachsene zwischen 6 und 28 Jahren.
Aufgrund von Armut und mangelnder Aufklärung können sich viele Familien nicht um ihre Kinder kümmern; andere halten ihre Kinder versteckt, weil sie sich schämen oder einfach nicht wissen, wie sie mit dem Kind umgehen sollen. Daher gibt es hier Kinder, die wegen mangelnder Betreuung Verhaltensstörungen aufweisen.
Im Zentrum helfe ich vormittags bei der Physiotherapie mit und mache Bewegungsübungen mit den Kindern. Mittags unterstütze ich die Kinder beim Essen, und nachmittags ist Freizeit. Wegen der täglich anfallenden Arbeiten wie Wasser holen, Felder bestellen, waschen, putzen etc. haben die Schwestern wenig Energie und freie Zeit, um besondere Aktivitäten mit den Kindern durchzuführen. Deswegen versuche ich, den Nachmittag dazu zu nutzen, ein bisschen Abwechslung in den doch sehr eintönigen Alltag zu bringen. Meistens gehen wir spazieren, malen etwas oder spielen Ball. Es sind einfache Dinge, die die Kinder glücklich machen. Die anderen zwei Tage in der Woche arbeite ich mit einer ruandischen Mitarbeiterin im Büro des Rheinland-Pfalz-Ruanda Partnerschaftsvereins zusammen. Dort mache ich die Büroarbeit für das Behindertenzentrum: Newsletter schreiben, Spendenfragen beantworten, Hilfspläne vorbereiten...
Theresa Gleitz, „Blaumacher“ Februar 2007
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Jean und Chantal sind Spastiker. Theresa trainiert mit ihnen. Fotos Gleitz

Theresa schreibt ans KvG:


Liebe KvGler,
nachdem ich bis Ende September knapp 8 Wochen in Ruanda gewesen bin, möchte ich nun endlich von dem Projekt für Kinder und junge Erwachsene mit Behinderungen in Masaka erzählen und berichten, wofür die Spende in Höhe von 495 Euro, die bei der Kollekte des letzten Weihnachtsgottesdienstes gesammelt wurde, verwendet worden ist.
Gemeinsam mit der Hauptverantwortlichen Christine Mukeshimana, die als Physiotherapeutin das Projekt leitet, haben wir uns entschieden, dass die Spende für die medizinische Grundversorgung der Kinder verwendet werden soll.
Das Zentrum in Masaka ist eine Tageseinrichtung, die als Anlaufstelle für Kinder und junge Erwachsene mit unterschiedlichen Behinderungen und ihre Angehörigen aus der gesamten ländlichen Umgebung von Masaka dient.
26 der rund insgesamt 80 registrierten Kinder, die in das Projekt nach Masaka kommen, leiden unter Epilepsie. Bevor die Eltern die häufig auftretenden epileptischen Anfälle ihrer Kinder richtig deuten konnten, standen sie dieser Krankheit oft hilflos gegenüber. Viele Eltern erklärten sich die Anfälle durch böse Geister; manche sahen sogar eine Gefahr darin, das Kind während eines Anfalles anzufassen aus Angst vor einer Ansteckung. Solche und ähnliche Vorurteile sind auf dem Land noch oft verbreitet.
Durch die Aufklärung über diese Krankheit wurden manche Kinder zum ersten Mal als richtige, vollwertige Menschen angesehen und behandelt. Ein Mädchen durfte im Gegensatz zu ihren Geschwistern z. B. keine Schuhe tragen. Die Eltern glaubten nicht, dass ihr Kind überhaupt dazu fähig sei, bis die Mitarbeiter in Masaka dies ihnen zeigten. Die Eltern kommen nun regelmäßig, um Medikamente für ihre Kinder abzuholen und bemerken schon nach kurzer Zeit, dass sich die Anzahl der Anfälle verringert. Da viele der Eltern kein regelmäßiges Einkommen haben und sich hauptsächlich durch Subsistenzwirtschaft ernähren, können sie sich die Versorgung durch Medikamente und den fachlichen Rat bei Ärzten nicht leisten. Die Spende der Weihnachtskollekte wurde nun dafür verwendet, die Grundversorgung durch Medikamente und fachlichen Rat von Ärzten für knapp 2 Monate zu gewährleisten.
Im Namen der Mitarbeiter in Masaka, der Kinder und deren Angehörigen möchte ich euch ganz herzlich für eure Unterstützung danken! Vor Ort habe ich hautnah erfahren, wie wichtig die Arbeit in Masaka ist und wie sehr sich doch das Leben von vielen Kindern und deren Familien ändern kann, wenn sie dabei begleitet und unterstützt werden.
Vielen, vielen Dank dafür. Und um es auf Kinyarwanda zu sagen: Murakoze cyane!!!
Ganz liebe Grüße,
Theresa Gleitz
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Noch kennt Theresa Gleitz Afrika nur vom Blick auf den Globus. Foto: Wilfried Gerharz

Ein Jahr in Ruanda

Theresa Gleitz arbeitet bald in einem Land, das 1994 die Hölle auf Erden war

Münster. Ruanda? Weit weg ist das Land, irgendwo in Afrika. Und fast schon wieder vergessen. Ruanda? War da was? 1994 bricht sich der Mob dort Bahn. Hutus töten Tutsi, Tutsi Hutus. Vormals friedliche Nachbarn werden zu blutrünstigen Mördern, Kinder erschlagen ihre Eltern, Brüder ihr Schwestern, Männer ihre Frauen. Es gibt kein Halten und keine Gnade. Eine Million Menschen fallen dem kollektiven Blutrausch zu Opfer. Zwölf Jahre ist das erst her - Ruanda: Die 19-jährige Theresa Gleitz fliegt im August dorthin.
Die junge Frau aus Münster weiß, was sie will. Und wie sie da so sitzt und erzählt - von sich und ihrem Leben, ihren Plänen, ja, auch ihren Ängsten, wird deutlich: Sie spielt sich nicht auf. Theresa macht in Ruanda ein Freiwilliges Soziales Jahr, weil sie fürs Leben lernen will - und vielleicht auch etwas für ihren späteren Beruf. „Ich möchte Sonderpädagogik studieren“, erzählt sie. In Afrika wird sie in einem Behindertenheim arbeiten. Gerade erst hat sie ihr Abitur gemacht, mit einem Notendurchschnitt von 1,6. Direkt vom Klassenraum in den Hörsaal zu wechseln, kam für sie nicht in Frage. Also schob sie zwölf Monate Ausland dazwischen.
Nun geht niemand so ohne weiteres nach Ruanda. Zumindest der nicht, der um die blutige Geschichte weiß, den Genozid, den die Volksgruppe der Hutu an den Tutsi verübte. Der so unvorstellbar grausam war, enthemmt und gigantisch, dass er sich tief ins kollektive Bewusstsein brannte. „Eigentlich wollte ich ja nach Ghana“, sagt Theresa. Sie hat einen Bekannten, der stammt von dort. Dieser Freundschaft verdankt sie auch ihre Leidenschaft für den Kontinent.
Als für die 19-Jährige klar war, ein Soziales Jahr machen zu wollen, stand für sie auch fest, dieses im Dienst der Kirche zu tun. Also bewarb sie sich beim Bistum Münster um eine Stelle in Afrika, gab Ghana als Erstwunsch an und Tansania als zweiten. Und auf Platz drei, da schrieb sie Ruanda. Nur so. Viele Bewerber gab es vermutlich nicht. Sie bekam den Zuschlag.
Am 15. August fliegt sie. In ein Dorf, das Gahanga heißt und auf keiner Landkarte verzeichnet ist. In dem es weder Strom gibt noch fließendes Wasser. Aber ein Behindertenheim, das über Umwege Kontakte hat zum Bistum in Münster. Gahanga, 30 Autominuten entfernt von der Haupstadt Kigali. Irgendwo im Nirgendwo.
Angst? „Ja, ich habe natürlich auch Angst“, gesteht Theresa. Die sei durch Gespräche mit Menschen geschürt worden, die 1994 dort waren, als das Land zur Hölle auf Erden verkam. Am Ende aber war ihre Neugierde größer. Und zumindest etwas beruhigend wirkt, dass sie in Kigali und nicht in Gahanga und zudem in einem Haus der Kirche untergebracht ist, sowie: In Elisabeth Hecker aus Recke bei Ibbenbüren eine Reisegefährtin und im Zweifel Leidensgenossin zu haben. All das hat am Ende auch ihre Eltern überzeugt. Schweren Herzens sagten sie ja - auch, weil ihre Tochter kein Nein akzeptierte. Rund 3500 Euro zahlt die 19-Jährige für das eine Jahr in Ruanda. Ihr Lohn werden unbezahlbare Erfahrungen sein. Unterstützt wird sie von ihrer Kirchengemeinde, auch finanziell. „Ich finde es klasse, was Theresa macht“, sagt Pastoralreferent Gerold Gesing. Und weil er möchte, dass möglichst jedes Mitglied der St. Ida-Gemeinde davon erfahren soll, wird die 19-Jährige im Juli mit einem Aussendungsgottesdienst verabschiedet.
Elmar Ries, Westfälische Nachrichten 08. 06. 2006