FSJ in Kroatien

Katharina Pöpping (Abitur 1997 am KvG)

Katharina Pöpping, Glina, den 22. 06. 98

Liebe Familie und Freunde,

umgeben von schwüler Hitze, die einen so leicht in Trägheit verfallen läßt, sitze ich gerade unter dem mittlerweile dichten Blätterdach unserer Einfahrt, welches nur noch vereinzelt Sonnenstrahlen hindurchläßt. Doch das Wetter ist kein Dauerzustand. Gewitter, Regenschauer und Sonne wechseln sich in letzter Zeit ständig ab, und mit ihnen scheint unser Gemütszustand zu variieren. Während wir uns vor ein paar Wochen, nach der Frühjahrsreflexion in Wien, noch schwer taten, uns mit unserer Arbeit zu identifizieren und uns wieder darin einzufinden, fühle ich mich nun schon wieder von dem Leben hier in den Bann gezogen. Mir hatte einfach die Übersicht gefehlt, und an Kleinigkeiten festhaltend war immer mehr zusammengekommen, was mich störte. Daß sich daraus dann jedoch wieder eine Änderung vollzogen hat, habe ich erst im Nachhinein gemerkt, als ich letztens von den Mikas, dem älteren Ehepaar aus Dragotina, welches wir betreuen, zurückkam und mich ein völliges Gefühl der Zufriedenheit überkam. Vielleicht hat auch dazu beigetragen, daß wir einfach wieder mehr zu tun hatten und ziemlich ausgelastet waren. Das gibt mir zwar immer das Gefühl, hinter der Zeit herzujapsen und alles an mir vorbeirauschen zu sehen, besonders, weil mir das Ende meines FSJ im August hier zunehmend deutlicher wird und ich immer meine, die verbleibende Zeit nicht mehr genügend nutzen zu können. Doch gleichzeitig gibt es mir auch eine viel größere Zufriedenheit und das Gefühl gebraucht zu werden. Und da meine verbleibende Zeit nun nicht mehr die Unendlichkeit besitzt, die sie am Anfang besaß, erlebe ich nun alles noch einmal viel bewußter, und ich glaube, daß es mir bestimmt nicht einfach fallen wird, in zwei Monaten wieder nach Münster zu ziehen. Die Arbeit hat sich eben doch um einiges verändert und sieht längst nicht mehr so aus wie zu Beginn. Es sind nun mehr die freundschaftlichen Beziehungen, die die Arbeit ausmachen und nähren, wodurch sich Privatleben bzw. private Interessen und die allgemeine Arbeit immer schwerer unterscheiden lassen. Dadurch ist die Arbeit nun auch nicht mehr nur das bloße Schaffen, sondern hat sich an die kroatische Lebensauffassung angenähert und ist viel gelassener geworden. Vielmehr geht es also darum, mit den Menschen zusammenzuleben und ihnen dort zu helfen, wo es möglich ist, und daran habe ich zur Zeit wieder richtig Gefallen gefunden.
Zu den Mikas z. B. haben Daniel und ich inzwischen eine so intensive Beziehung, daß sie für mich wie Großeltern sind. Sie existieren für mich nicht nur, während ich Ljubica helfe das Maisfeld umzugraben, weil sie sich nicht leisten kann, den Mais spritzen zu lassen, sondern auch noch danach, wenn man zusammen in der Küche sitzt, ißt und erzählt. Es hat eben nicht mehr die Unpersönlichkeit und die Einseitigkeit vom Anfang, sondern ist wesentlich intensiver geworden, so daß beide Seiten davon zehren. Sie, weil sie jemanden haben, der sich für ihre Probleme interessiert, ihnen zuhört und zur Hand geht, wo es möglich ist, und wir, weil sie uns eine Herzlichkeit und Dankbarkeit entgegenbringen, die nicht selbstverständlich ist. Aber gerade diese Ungezwungenheit hat es z. B. auch möglich gemacht, daß wir letztes Wochenende eine Nacht bei ihnen im Heu schlafen konnten, das wir zuvor selber aufgestapelt hatten. Beim Frühstück am nächsten Morgen hat Ljubo uns dann auch gleich gefragt, wann wir denn wieder bei ihnen übernachten würden. Und es ist nicht die einzige Möglichkeit, wo wir immer einen Platz zum Schlafen zugesichert bekommen haben. Oft ist es mir in dem Moment ein wenig unangenehm, wenn uns die Menschen hier mit ihrer Begeisterung und Dankbarkeit so hoch anpreisen, unsere Einzigartigkeit betonen und all ihren Besitz mit uns teilen wollen. Doch abgesehen davon, daß der Kroate an sich auch ganz gerne große Reden schwingt, steckt darin dessen ganze Herzlichkeit, und gerade das ist es, was mich hier eigentlich so motiviert.
Es mag alles ein wenig übertrieben oder kitschig klingen, aber als wir Vasilj und Miroslavka, zwei im Winter zurückgekehrte Serben*, das letzte Mal trafen, ist mir wieder bewußt geworden, daß man für die Menschen hier im Laufe der Zeit schon ziemlich wichtig geworden ist, auch wenn man selber oft nach dem Sinn seiner Arbeit sucht. ­ Miroslavka und Vasilj sind wirklich zwei Leute, die ich immer wieder dafür bewundere, wie weit sie in dieser kurzen Zeit ohne einen Kuna ihre Existenz aufgebaut haben. ­
Wir haben mit Ljubo, dem ehemaligen Postboten aus Veliki Gradac, auch bei ihnen Holz gesägt, während sie selber irgendwo anders auf dem Feld gearbeitet haben. Als sie an diesem Abend nach Hause kamen, erzählte Miroslavka uns, habe Vasilj plötzlich das Holz entdeckt und gemeint: „Das können nur 'die Kinder' gewesen sein“, während ihm die Tränen in die Augen traten... Diese und ähnliche Erlebnisse sind es, die mir gerade immer häufiger auffallen und mir für die restliche Zeit nochmal einen Motivationsschub geben.
Doch ab Freitag bin ich nun zunächst einmal für zwei Wochen mit dem Rucksack an der kroatischen Küste unterwegs, weil wir außer Glina auch noch ein wenig mehr von diesem Land kennenlernen möchten. Und falls wir noch das Visum bekommen, werden wir auch noch in Montenegro wandern, denn dort fernab vom Tourismus soll die Natur am faszinierendsten sein...
Mit diesem kurzen Brief Euch viele liebe Grüße aus Glina und einen schönen Sommer
Katharina
* Katharina hatte den Mut, sich im kriegszerstörten Kroatien zu engagieren. Aus ihrem Rundbrief wird u. a. die Situation kurz nach dem serbisch-kroatischen Krieg deutlich: Not und Armut auf dem Lande; zurückkehrende serbische Landbevölkerung, die die ethnischen „Säuberungsaktionen“ des Krieges überstanden hatte.