Studienfahrt der Jahrgangsstufe 12 nach Berlin 1988


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Am Charlottenburger Schloss Infozettel mit Reisepass-Hinweis
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Das West-Berliner Zentrum: Kurfürstendamm, Gedächtniskirche, Café Kranzler

Berlin, wie haste dir vaändert!


Studienfahrt 1988 nach Berlin: Lehrern und Schülern wurde einiges abverlangt! Nachtfahrt mit dem "Interzonenzug" durch das geteilte Deutschland. Für die Durchfahrt durch DDR-Gebiet war ein Reisepass erforderlich! Scharfe Kontrollen bei der Grenzüberfahrt Helmstedt und dann wieder bei der Einreise ins inselartig innerhalb DDR-Gebiet gelegene West-Berlin, langsame Durchfahrt ohne Halt im stacheldrahtbewehrten Bahnhofsbereich Magdeburg, Ankunft in früher Morgenstunde im Westberliner Bahnhof Zoo. Berlin-Hauptbahnhof? Regierungsviertel? Damals noch nicht existent, undenkbar; Spreebogen und der damalige "Lehrter Stadtbahnhof" waren - wie auch der Potsdamer Platz - eine Einöde, in deren Nähe die Mauer verlief, eine unüberwindbare Grenzlinie, die den Westen der Hauptstadt vom Osten trennte. Hauptstadt? Das war damals nur ein historischer Begriff, Wunsch und Lippenbekenntnis. Regierung und Parlament der Bundesrepublik Deutschland waren in Bonn ansässig - ein Provisorium, mit dem man sich arrangiert hatte. Der Ostteil Berlins war freilich Hauptstadt: "Berlin, Haupststadt der DDR", so die dortige offizielle Titulierung.

Berlin war damals allemal ein interessantes Ziel für Studienfahrten. Trotz Teilung, Insellage, Abschnürung vom Hinterland und dadurch nicht wahrzunehmender Hauptstadtfunktion sowie erheblich eingeschränkter wirtschaftlicher Entfaltung war Berlin immer noch die größte Stadt Deutschlands, die nicht nur mit zahlreichen Museen und vielfältigem kulturellen Angebot lockte, sondern auch auf krasseste Weise die Probleme der Zeitgeschichte, die Folgen des Zweiten Weltkrieges, die Teilung Deutschlands deutlich und erlebbar machte. Zudem lagen Berlin-Besuche damals im politischen Interesse, und die großzügige Förderung des Staates, die eine Studienfahrt zu günstigen Preisen ermöglichte, nahm man gerne mit - das Rahmenprogramm, das man dafür zu absolvieren hatte, war nicht nur anstrengend, sondern auch interessant. Gespräche über die Situation Berlins oder über die Jugend in der DDR gehörten dazu - aber noch besser war es, Taten folgen zu lassen: einen Besuch Ost-Berlins! Durch das Brandenburger Tor in den Bezirk Mitte spazieren? Undenkbar, vor dem Tor verliefen in weitem Bogen Mauer und Todesstreifen! Hindurchquälen durch einen Grenzübergang mit Sperranlagen, beklemmende Atmosphäre im Wartehäuschen, wieder Passkontrolle durch scharfäugige DDR-Grenzer für den eintägigen Aufenthalt in der "Hauptstadt der DDR" (mehr war nicht erlaubt). "Drüben" eine andere Welt: Triste Atmosphäre, überdimensionierte Aufmarschstraßen, vom Berliner Dom nur die Schauseite (dank Unterstützung aus der Bundesrepublik) restauriert, baufällige Häuser und leere Läden schon etwas abseits der Touristenmeile. Im Westen Wirtschaftswunder, Glitzer- und Reklamewelt, im Osten Transparente mit markigen Parteisprüchen und ansonsten Grau in Grau: Gegensätze, die ins Auge fielen.

Auch von der West-Berliner Seite her stach die Teilung ins Auge, war ständig erlebbar und präsent: Aussichtsgerüste ermöglichten Überblicke über Mauer und Sperrgürtel, auf der Havel wurden Schiffsfahrten direkt entlang der Grenze - mit Unterfahrung der Glienicker Brücke, die damals gesperrt war und auf der nur gelegentlich Spione ausgetauscht wurden - angeboten, und ein bedrückendes Gefühl kam auf, wenn man in der West-Berliner U-Bahn, etwa auf dem Wege von Kreuzberg nach Wedding, den zu Ost-Berlin gehörigen Stadtbezirk Mitte unterquerte und dabei halbdunkle, abgesperrte "Geisterbahnhöfe" aus der Vor-Mauer-Zeit passierte, auf denen DDR-Volkspolizisten mit MP im Anschlag Wache schoben. Skurril, sich heute vorzustellen, dass Menschen in dieser Stadt "ganz normal" leben konnten. Und damals undenkbar, dass schon knapp anderthalb Jahre später, am 9. November 1989, sich die Mauer öffnen würde. Berlin, wie haste dir vaändert!

Ulrich Kaspar (2008)

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Verkehrsplan der geteilten Stadt mit "Geisterbahnhöfen" unterhalb Ostberlins Berliner Mauer-Perspektiven: Blick über die Straße des 17. Juni auf das Brandenburger Tor, vor dem die Mauer verläuft; die Mauer in unmittelbarer Nähe von Wohnhäusern
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Das politisch geprägte Rahmenprogramm Blick über den Sperrgürtel und Mauer-Einöde am Potsdamer Platz Rundfahrtangebot mit Grenzberührung
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Ost-Berlin: DDR-Alltag abseits der Touristenmeile; Berliner Dom - Marienkirche - Fernsehturm - Volkskammer ("Erichs Lampenladen"); Rotes Rathaus und Nikolaiviertel

Fotos: Ulrich Kaspar, 1988