Lenzerheide 1995

Der zweitausendste Schüler

Dieses Jahr war ein besonderes Jahr in Lenzerheide, denn schließlich nahm 1995 der zweitausendste (!) Schüler an der Fahrt in die Schweizer Alpen teil. Glücklicherweise hatte das am Abfahrtsmorgen aufgetretene Glatteis den Aufbruch der Busse weder wesentlich verzögert, noch verhindert, was schon von ängstlichen Anrufern bei Herrn Agel befürchtet worden war.
Trotz der widrigen Wetterverhältnisse kamen wir gegen 20.00 Uhr in Lenzerheide an, nachdem die Busse mühsam die zum Ort führenden Serpentinen erklettert hatten. Zu Anfang herrschte eine gewisse Unordnung ob der wild aus dem Bus herausgerissenen Gepäckstücke, doch wurde dieses Problem schnell durch Organisator Agel gelöst. Nach dem ersten Abendessen und der obligatorischen Ansprache ging es daran die Zimmer einzuräumen. […] Danach machten sich noch einige Unerschrockene auf zu einer kleinen Nachtwanderung, um das Dorf zu erkunden. Doch auch für sie ging es dann um 22.00 Uhr wieder nach Hause, um in schlafender Weise die für den nächsten Tag nötigen Kräfte zu sammeln.
Stätzerhorn Rothorn
Weißhornmulde Schwarzhorn
Piz Scalotta Lavoz
Nachdem man gefrühstückt hatte, ging es (mit Ausnahme der "Profigruppe" unter Herrn Agel) auf die ersten kleinen Hügel, um den Schülern das Skifahren beizubringen. Als die ersten beiden Tage des Lernens vollbracht waren, wurden sie nach einer eingehender Prüfung seitens ihrer Fahrkenntnisse durch den Lehrkörper in fünf verschiedene Leistungsgruppen eingeteilt, die ein homogenes Fahrverhalten garantieren sollten.
Zuerst lag aber noch der "Freie Tag" an, für den sich einige KvGler vorgenommen hatten, mit geliehenen Schlitten rodeln zu gehen. An der Verleihstelle der Rothornbahn angekommen wurden sie jedoch zunächst mit der umwerfenden Freundlichkeit des örtlichen Personals konfrontiert, welches sich auch nach hartnäckigem Klopfen und Rufen erst nach 20 Minuten meldete, als es seinen Kaffee zu Ende getrunken hatte. Nach einer weiteren Stunde unbeschwerten Wartens teilte uns die zuständige Dame schließlich mit, daß die Pisten leider gesperrt seien, und daß man es doch am besten "irgendwann in den nächsten Tagen" noch einmal versuchen solle. […]
Am nächsten Morgen ging es dann direkt mit dem Lift in die höheren Regionen des Skigebiets, wo man zeigen sollte, was man gelernt hatte. Leider wurde dieser Tag vom Unfall eines Schülers überschattet, der sich bei der Kollision mit einem Markierungspfosten eine Verletzung zuzog, welche sich später als Muskelfaserriß heraustellte.
Inzwischen hatten sich die KvGler auch schon mit dem Preisniveau der Schweiz vertraut gemacht, dieses drückte sich dadurch aus, daß man z.B. für eine Flasche "hohes C" im Supermarkt umgerechnet knapp vier DM löhnen mußte. Zum Leidwesen der Lehrer waren es einmal nur wieder die Suchtmittel Bier und Zigaretten, die in der Schweiz genauso teuer bzw. billiger als in Deutschland erhältlich waren. So war auch die Suchtprävention in Lenzerheide drastisch; Rauchen war aufgrund der nervigen Rauchsensoren schlicht im gesamten Haus verboten, und Bier durfte man höchstens in kleinen Mengen im Gemeinschafts- bzw. Essenssaal zu sich nehmen.
Nach den ersten Tagen auf geringeren Höhen zur Übung ging es schließlich für alle Gruppen im Sessellift auf Höhen bis zu 2000 Meter, wo man bei der Anfahrt zu dritt oder zu viert 10m und mehr über dem Boden im Lift sitzt, gesichert nur durch einen Bügel. Aber dies sollte kein Hindernis sein, um dann erst richtig mit dem Skifahren loszulegen, denn schließlich befand man sich jetzt auf den wirklich schwierigen. Pisten. Anfängliche Stürze wurden uns von Herrn Vogelpohl mit Milky Ways und anderen Schokoriegeln versüßt, auch wenn es immer (und bis zum Schluß) Unstimmigkeiten in jeder Gruppe darüber gab, wie schnell man bzw. der einzelne fahren sollte.
In den darauffolgenden Tagen geschah nichts besonderes, außer daß die verschiedenen Gruppen nach und nach ihr Langlaufprogramm zu absolvieren hatten, das bei den meisten KvGlern aber auf wenig Gegenliebe stieß. Ärgerlich war nur für einen Schüler, daß ihm bei einer Abfahrt seine Skischuhe kaputt gegangen waren; so mußte er sich für den Großteil seines Taschengeldes neue Schuhe vor Ort leihen. Fast wäre also der Rest der Fahrt für ihn äußerst mager ausgefallen, wenn die anderen Schüler sich nicht ein Harz gefasst und für ihn siebzig Schweizer Franken gesammelt hätten. […]
Nachdem in den ersten Tagen unseres Aufenthalts Unmengen an Schnee gefallen waren, was die Schweizer Bergwacht dazu veranlasste, etwaige Lawinen schon vor ihrem Abrauschen ins Tal mit Raketenwerfern (ist wirklich wahr) zu sprengen, hatten wir darauf nur noch Sonne, Sonne und nochmals Sonne. Aufgrund der nach der Ansicht von allen Beteiligten geradezu optimalen Bedingungen konnte man allein von diesem Standpunkt aus schon von einer Super-Fahrt sprechen, doch lag dies genauso an der guten Stimmung innerhalb der Schülerschaft.
Ebenso erwähnenswert sind die absolut zauberhaften Sonnenaufgänge hinter den Berggipfeln, die in ihrer Schönheit von vielen Schülern festgehalten wurden, ebenso wie der Mond, der, wenn er abends über den schneebedeckten Gipfeln aufgegangen war, mit seinem schummrigen und stimmungsvollen Schein über der alpinen Welt ein ebenso lohnendes Motiv abgab. […]
Schließlich brach der letzte Tag an, an dem es für alle Schüler die Möglichkeit geben sollte, ohne Lehrer in kleinen Grüppchen, geleitet von einem Schüler oder einer Schülerin der Profi-Mannschaft, auf die Piste zu gehen und mal ordentlich Schuß zu fahren. Vorher sollte es aber noch am Morgen aufs Rothorn gehen, den höchsten Berg der Gegend, der die stattliche Höhe von über 2800 Metern aufwies. Doch leider wurde aus diesem Vorhaben nichts, da der heftige Wind mit bis zu 6 Beaufort an Windstärke die Gondeln der Seilbahn zwang, die meiste Zeit am Boden zu bleiben. Und da es bei solchen Wetterverhältnissen auf dem Rothorn auch kein Zuckerschlecken gewesen wäre, Ski zu fahren, entschloß man sich, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Dafür ging es aber (wenigstens für einige Gruppen) auf bisher noch nicht gefahrene Pisten, die sich durch ihre hervorragende Griffigkeit auszeichneten. […]
Am nächsten Morgen hieß es schon gegen 06.00 Uhr für alle, Schüler wie Lehrer, „Auuuuufstehen!“ Aufgrund der frühen Stunde war es zwar für die meisten etwas schwierig aus dem Quark zu kommen, doch irgendwie schafften es dann doch noch alle zum Frühstückstisch.
Als die letzte Mahlzeit in Lenzerheide endlich zu Ende war, wurden dann auch noch die letzten Gepäckstücke in den Bussen verstaut, um den langen Rückweg in die Heimat anzutreten. Schließlich und endlich, nachdem wir uns noch von Herrn Gaejon verabschiedet hatten, machten sich die Busse gegen 07.30 Uhr auf den Weg.
Nachdem der Großteil der Schülerschaft den bitter nötigen Schlaf nachgeholt hatte, konnte man schon im ganzen Bus heftige Diskussionen darüber hören, wie es denn zu managen sei, Lenzerheide in den Osterferien einen zweiten Besuch abzustatten. Irgendwann im Laufe des Morgens rollten wir dann endlich über die Grenze - wir befanden uns wieder auf heimischen deutschen Boden. Über den weiteren Verlauf der Rückfahrt ist nichts Weltbewegendes zu berichten, außer das organisatorisch alles ganz hervorragend klappte, sogar auf dem überfüllten Schulhof.
Und wie fanden wir alle die Fahrt nach Lenzerheide? Schön war's... mit Holgä in den Bergen!!

Steffen Teller in: Schülerspiegel, März 1995