La Villa 1980
Die legendäre Jahrgangsstufenfahrt der 11
Wohl die meisten von uns verbinden großartige Erinnerungen mit La Villa,
und die wenigsten der Bilder in unseren Köpfen sind in Photographien festgehalten.
Das fing mit der Busfahrt an. Im Heck des dritten Busses wechselten Arktis
und Äquator miteinander ab. Fischi und Gerd Kemper verwandelten die Fahrt
in eine einzige Fete. Frühmorgens etwas gerädert Halt in Österreich.
Als es über den Brenner ging, tauchte die Sonne die Berge in Rot. Bei
San Lorenzo blieb der Doppeldecker einer anderen Schule unter einer Brücke
hängen, und wir nahmen etwa zwanzig von deren Schülern bei uns mit.
Auf der Auffahrt zum Sottsass kam uns ein alter VW-Bus entgegen, reagierte
nicht. Unser Fahrer fluchte, unser Bus kam auf der schneeglatten Bahn rückwärts
ins Rutschen, der Skianhänger verkeilte sich in einer seitlichen Schneewehe,
die Deichsel verbog sich – in einer langen Menschenkette reichten wir
Gepäck und Skier ins Haus. War doch schon ein cooler Auftakt.
Ich kam mit Stefan Schäfermeyer ins Pic Ander nebenan. Leider weniger
Party, dafür aber keine Anwesenheitskontrollen.
Die ersten beiden Tage Skifahren mal ganz ursprünglich. Auf den Gardenaccia-Hängen
den ungespurten Schnee treten, aufsteigen, abfahren, aufsteigen, abfahren …
Ich fuhr schon viele Jahre Ski, war ungewohnt jetzt so ohne Lift, aber es hatte
was – back to the roots.
Jahre später habe ich meinem damals zweieinhalbjährigen Sohn am Jungfraujoch
das Skifahren auf ähnliche Weise beigebracht. Auch aufsteigen, abfahren,
aufsteigen, abfahren, gefühlte hunderte Mal. Nur dass der Sohn immerzu
nur abfuhr und der Vater immerzu nur aufstieg, jeweils mit dem Kind unter dem
Arm. Aber abends konnte er es und fuhr mit uns die ganze Abfahrt ins Tal. Rechtsschwünge
konnte er deutlich besser als Linksschwünge. Er stand dann immer wieder
am rechten Pistenrand – freudestrahlend und wartend, dass die Eltern kamen,
ihn umzudrehen.
Zurück zu La Villa. Da ging es im Laufe des zweiten Tages dann erstmals
einige Male auch an die Lifte. Reiner Fischer sah ich an jenem Tag aus der Ferne
beim Vorfahren. Für die damaligen Verhältnisse ein noch ungewöhnlicher
Fahrstil – überflüssige Details wie Kanten, Hochentlastung,
Talski belasten, wurden einfach weggelassen – Reiner hat die Ski einfach
mit Kraft in seine Richtung gezwungen. Nicht schlecht, das nächste Mal
sah ich das Jahre später bei Alberto Tomba.
Am dritten Tag blieben die Ski im Keller – Ruhetag für alle. Gruppenweise
haben wir die Gegend erkundet. Ich war mit Mühli, Olaf Krätke und
Martina Gonschorek am Sompunt -See, eigentlich aber lagen wir den größten
Teil der Zeit im Schnee.
Didi Agel machte am vierten Tag die Gruppeneinteilung. Eine Referendarin musste
währenddessen die Fortgeschrittenen betreuen. Sie hatte es nicht leicht
mit uns. Wer war dabei – Ulrich Vorspel?, Andreas Schwarz? ganz sicher
ich -, als wir im Abstand weniger Sekunden einer nach dem anderen vor ihr abschwangen
und sie unter Schneefontänen begruben? Was kamen wir uns damals cool dabei
vor, 16-jährige halt.
Dann ging’s hinauf auf den Piz La Villa. Schade, dass es den Tonnenlift
dort nicht mehr gibt. Er gab dem Skilauf noch einen Hauch von Abenteuer. Ski
reinwerfen, in schweren Skischuhen hinterher laufen, reinspringen, da kommen
schon die Ski des zweiten geflogen, der rennt und – auch er hat dieses
eine Mal noch geschafft. Von der Kante am Ende der Laufstrecke ist – glaube
ich – nie einer abgestürzt, aber anfangs hatte man den Eindruck,
dass das pures Glück war. Und dann war diese Tonne auch noch rattenkalt
und so dermaßen langsam. Wie verweichlicht scheinen da doch die beheizten
Achtersessellifte mit Schneehaube, die es heute an manchen Orten gibt. Da ist
Skifahren ja kein Abenteuer, kein Kampf um Leben und Tod mehr, von dem man eines
Tages noch seinen Urenkeln erzählen kann.
Schier endlos war das Skigebiet, das sich an den Piz La Villa anschloss. Cherz,
Pralongia, Pre dai Corf (Wiese der Raben), man konnte den ganzen Tag fahren,
ohne eine Piste zweimal zu benutzen. Besonders beliebt das Edelweißtal
oberhalb von Colfosco mit den Liften Forcelles und Col Pradat. Ein sehr beeindruckendes
Erlebnis war die fast acht Kilometer lange Abfahrt vom Monte Lagazuoi am Falzarego-Pass
vorbei an steilen Felswänden und Eisfällen nach Armenterola. Beeindruckt
haben mich auch die riesigen Einfahrtstore an der Seilbahn auf den Piz Boé,
mehr noch die Geschichte dazu. Jahre vorher habe sich eine Kabine bei Wartungsarbeiten
gelöst, sei das Seil herunter gerast und habe aus der Talstation Kleinholz
gemacht.
Von den unglaublichen Geschichten zu den großen Träumen. Sicher hat
der eine oder andere wie ich am Rifugio Forcelles oberhalb des Edelweißtals
gesessen, hinüber gesehen zum Sella-Massiv und sich vorgenommen: Eines
Tages werde ich das Mittagstal abfahren. Und wer von Euch hat’s getan?
Für mich ist es das Symbol der Träume, die ich nicht umgesetzt habe
… – noch nicht. Ein gutes Bild für die Homepage einer Jahrgangsstufe,
die vor dreißig Jahren ihr Abitur gemacht hat.
Bestimmt habt Ihr noch andere Erinnerungen an La Villa. An die Abende bei Mama
Costa. An diese unglaubliche “Disco” im Keller vom Ciasa Sottsass.
Oder wie hieß nochmal dieses Zeug aus heißer Milch und Eierlikör,
das wir auf den Skihütten getrunken haben? Irgendjemand hat damals einen
Liter Milch mit nach Hause genommen, um das bei uns nachzumachen. Mit nach Hause
nehmen – ich habe damals zwei Hefezöpfe mit nach Hause genommen,
weil die so toll sein sollten. Einen als Proviant für die Fahrt, einen
für zuhause. Ich wollte etwas mit nach Hause bringen von der großartigen
Zeit dort. Doch als ich zuhause war, war aus dem tollen Südtiroler Zopf
ein trockenes Stück Brot geworden. So wie das, was wir erlebt haben, nur
in unseren Köpfen und Herzen blieb und nicht mit nach Hause gebracht werden
konnte.
Ich möchte hier enden An einem der letzten Abende ist unsere Gruppe dann
noch mal hoch gelaufen zum Sompunt-See. Das alte Hotel hatte für uns geöffnet.
Im Kerzenschein haben wir gesessen, Didi Agels spanischer Gitarre gelauscht,
gesungen. Dieser Abend rundete alles ab. La Villa – das war nicht nur
Skilauf. Und ich danke Didi Agel für die schönste Erinnerung an meine
Schulzeit.
Ralf Witteler 2012
Fotos: Ulrike Pattberg-Voß, Andreas Rütter, Ralf Witteler