Geschichte zum Anfassen

Exkursionen im Rahmen des Geschichtsunterrichts am KvG

Mit Schülern ins Museum? - „Duplo!“
Den meisten ist sie noch vor Augen: die Szene aus dem Werbespot für einen mittlerweile zur „längsten Praline der Welt“ avancierten Schokoriegel, in dem ein pfiffiger Schüler eine Touristengruppe, die ebenso gehorsam wie genervt hinter ihrem staubtrocken dozierenden Museumsführer hertrottet, dadurch von ihren Qualen erlöst, daß er ihr, und zum Glück auch dem monologisierenden Langeweiler vor ihr, eine Runde „Duplo“ spendiert.
Auf solche Museumsbesuche haben Schüler - reduziert auf die Rolle passiv konsumierender Bildungsgutempfänger - natürlich „Null Bock“. Wenn Schüler den Gang ins Museum nicht als eine besonders subtile Form der Niederträchtigkeit ihres Lehrers empfinden sollen, darf eine solche Veranstaltung nicht über die Köpfe der Schüler hinweg geplant werden, sondern muß die Eigeninitiative der Schüler wecken und ihre Aktivitäten mit einbinden. Nur so können historische Exkursionen das leisten, wozu sie gedacht sind: Motivation zu schaffen für die Beschäftigung mit der Geschichte - innerhalb und außerhalb der Schule.

01
Stadtmuseum-Ralley der 7b
Vergangene Wirklichkeit erfahren - Historische Stätten und Museen als „außerschulische Lernorte“
Ende der siebziger Jahre wurden Museen und historische Stätten von der Geschichtsdidaktik als „außerschulische Lernorte“ neu entdeckt. Im Zuge eines stärker problemorientierten und projektbezogenen Geschichtsunterrichts kam man erneut zu der Einsicht, daß alte Gegenstände, Gebäude, Straßen und Anlagen aufgrund der in ihnen materialisierten Geschichte Schülern historische Erfahrungen vermitteln, die im schulischen Geschichtsunterricht so nicht möglich sind. Historische Stätten und Museumsobjekte, die als Originale zu betrachten sind, deren Größe zu sehen, deren Material haptisch zu „begreifen“ und deren Alter aufgrund von Materialverschleiß oder Gebrauchsspuren erkennbar ist, können Schülern ganz neue Erkenntnisse und Einsichten ermöglichen. Geschichte gewinnt dadurch eine größere Anschaulichkeit und wird aufgrund der den Objekten innewohnenden „Aura des Originalen“ auch als „vergangene Wirklichkeit“ erfahrbar. [...] Dem Unterricht kommt die Aufgabe zu, Schüler zu befähigen, sich - auch nach Beendigung ihrer Schulzeit - selbständig mit Geschichte auseinanderzusetzen. Er sollte sich als Wegweiser für außerschulische kulturelle Institutionen verstehen und Schüler in die Lage versetzen, Museen und historische Stätten als originäre Orte eigener Geschichtserfahrung zu erleben.

Das KvG unterwegs - Schüler auf der Suche nach Spuren der Vergangenheit
[...] Im folgenden [...] soll anhand einzelner Beispiele aufgezeigt werden, welche Unterrichtsvorhaben im Rahmen des Curriculums ohne großen organisatorischen Aufwand von Hiltrup aus zu realisieren sind. [...]

02
GK 11 als "Ausstellungsmacher"
Die 7b auf einer Ralley durchs Stadtmuseum
Im Rahmen der Beschäftigung mit mittelalterlicher/frühneuzeitlicher Stadtgeschichte bot sich die Stadt Münster mit ihrer reichen historischen Tradition als Entdeckungsfeld geradezu an. Nun gehört das Stadtmuseum Münster sicherlich nicht zu den Einrichtungen seiner Art, von denen jüngere Schüler spontan begeistert sind. Von seinen Modellen zur Stadtentwicklung und einigen ins Auge fallenden Prestigeobjekten (Kaufladen aus dem 19. Jh., Schießbude) mal abgesehen, enthält es viele auf den ersten Blick weniger interessante Exponate, darunter sehr viel ,,Flachware“, also Texte, Bilder, Fotografien usw. Um auch diese Gegenstände durch die Schüler selbst erschließen zu lassen, bot sich eine Museumsrallye an. „Gepackt“ bei ihrem sportlichen Ehrgeiz wetteiferten die Schüler in konkurrierenden „Mannschaften“ darum, die gestellten Aufgaben in Bestzeit zu lösen und den ersten Platz zu belegen. Wenn auch Bestechungsversuche beim Museumspersonal sowie „unmuseales“ Gerangel an Vitrinen und Schautafeln als grobe „fouls“ zu ahnden waren, im großen und ganzen herrschte „fair play“. Chancen hatten v. a. die Mannschaften mit gutem Teamgeist: wer zusammenhielt, konnte mit vereinten detektivischen Kräften Objekte aufspüren und verborgene Details entdecken, aber auch Deutungsmöglichkeiten diskutieren.
Beispiele aus dem Fragebogen:
1) Zum Zunftwesen im Mittelalter
a) Wie viele Gilden waren in der Gesamtgilde vertreten? - Die Schüler mußten die Gildentafel finden und die Zahl der Wappen zählen.
b) Welche Gilde trägt Hammer und Meißel, welche einen Tisch mit rotem Tuch im Wappen? - Die Schüler konnten anhand der Symbolik und durch „Übersetzung“ der mittelhochdeutschen Begriffe zur Lösung „Steinmetze“ und „Wandschneider“ gelangen.
2) Zur Bilderstürmerei der Wiedertäufer:
a) Welche Besonderheit weist das Altarbild auf? - Die Augen der dargestellten anbetenden (katholischen) Priester sind zerstört worden.
b) Wie erklärt ihr euch diese Besonderheit? - Der Kontext der Bilderstürmerei wird auf Leittexten im Museum erklärt.

Schüler des GK 11 als Ausstellungsplaner und Museumsführer
Zum Abschluß einer Reihe zur Stadtgeschichte Münster sahen sich die Schüler des Grundkurses 11 vor eine ungewöhnliche Aufgabe gestellt: Sie sollten sich in die Rolle von „Ausstellungsmachern“ hineinversetzen und eine kleine Museumssequenz ausarbeiten. Die Porträts zweier bedeutender Mitglieder der Galen-Familie sollten so präsentiert werden, daß der jeweilige historische Kontext auch für uninformierte Laien erkennbar wurde: zum einen Bischof Christoph Bernhard von Galen, der absolutistische Herrscher des 17. Jahrhunderts. zum anderen Bischof Clemens August von Galen, der Widerstandskämpfer gegen das „Euthanasie“-Programm der Nationalsozialisten. Einmal mit der Aufgabe vertraut, überlegten sich die Schüler ergänzende Objekte zur Kontextualisierung (etwa Kanonen bei Christoph Bernhard oder Predigttexte bei Clemens August), probierten verschiedene Objektanordnungen aus, schrieben erläuternde Texte und erfuhren auf diese Weise, wie schwierig es ist, historische Aussagen so zu visualisieren, daß der Eindruck eines „dreidimensionalen Lehrbuchs“ vermieden wird. So in ihrer Wahrnehmung musealer Präsentation geschult, bereiteten sie anschließend anhand des Museumskataloges Führungen durch einzelne Abteilungen des Stadtmuseums für ihre Mitschüler vor, in denen sie v. a. Wert auf die Veranschaulichung der Inhalte durch die ausgestellten Objekte legten.

03
Klasse 7a auf dem Weg nach Münster
Geschichte zum Nachspielen - Die 9a erprobt Inszenierungen des Ruhrlandmuseums
Das Ruhrlandmuseum in Essen stellt die Sozialgeschichte des Ruhrgebietes während der Industrialisierung dar und arbeitet aufgrund der komplexen Bezüge dieses Themas v. a. mit dem Mittel der musealen Inszenierung. Inszenierungen sollen einerseits Identifikationsangebote für die Besucher bereitstellen, andererseits durch Verfremdungseffekte kritische Distanz schaffen und zur Reflexion anregen. Eine der am besten gelungenen Inszenierungen ist die des „Zahltages“. Vor dem Fenster des Lohnbüros in einem Industriebetrieb stehen Arbeiter Schlange, um ihre Lohntüte mit dem Wochenlohn in Empfang zu nehmen. Das Fenster ist so niedrig angebracht, daß sich die Arbeiter beim Empfang des Geldes bücken müssen. Die Szene kann und soll symbolisch interpretiert werden: als Erniedrigung des lohnabhängigen Arbeiters vor dem Unternehmer. Da sich solche Inszenierungen nicht auf den ersten Blick erschließen, haben die Schüler diese Szene im Unterricht als Vorbereitung auf die Exkursion durch Standbilder nachgestellt und ihre dabei gemachten Erfahrungen besprochen. Auf dieser Grundlage konnten weitere symbolische Bezüge des Museums anhand des Kataloges erarbeitet werden. Vielleicht trifft ein möglicher Vorwurf, hier sei zu deduktiv vorgegangen worden, durchaus zu, doch hat sich herausgestellt, daß die Schüler aufgrund ihrer Vorbildung viel mehr an lediglich angedeuteten Bezügen der Ausstellung erkennen konnten, als sie ohne Vorbereitung hätten aufspüren können.

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LK 11...
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...auf den Spuren der Wiedertäufer
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Das Museum als „Infothek“ - Der LK 13 als „Expertengruppe“
Neuere historische Museen wollen keine „Musentempel“ als Orte stiller Einkehr und ehrfurchtsvoller Besinnung sein, sondern historische und gesellschaftliche Zusammenhänge vermitteln. In ihnen werden Gegenstände folglich nicht nur als Anschauungsobjekte vorgestellt, sondern so präsentiert, daß Erklärungshilfen angeboten werden, durch die der historische Informationsgehalt der Objekte selbständig ermittelt werden kann. Das gilt in besonderem Maße für das „Haus der Geschichte“ in Bonn, das mit modernsten Informationssystemen ausgestattet ist und eine Fülle an zusätzlichen Informationen auf Anforderung bereitstellt. Der Besuch mit einem LK 13, der sich zuvor im Unterricht mit der Nachkriegsgeschichte beschäftigt hatte, wurde in diesem Museum zu einem Selbstläufer. Natürlich gab es die staunenden Blicke auf den „Rosinenbomber“ und den Kanzler-Mercedes oder die nostalgischen Erinnerungen an Omas Waffeleisen und die Schlager der 70er Jahre. Aber die Ausstellung bot über diese Identifikationsangebote hinaus so reichhaltige Zusatzinformationen zum geschichtlichen Kontext an, daß sie von allen Schülern gesucht und zur Vertiefung individueller Schwerpunkte genutzt wurden. Was kann Geschichtsunterricht hier zusätzlich leisten? Er muß nicht viel mehr tun, als historisches Basiswissen vermitteln und den organisatorischen Rahmen schaffen. Er kann jedoch weiter gehen: Wenn im Anschluß an den Museumsbesuch Gelegenheit zum Austausch und zur Reflexion gegeben wird, kann und sollte der ideologische Gehalt bestimmter Ausstellungssequenzen und Schwerpunktsetzungen des Museums kritisch hinterfragt und im Hinblick auf seine politischen Bedingungen beleuchtet werden. Als „Geschichtsexperten“ sind LK-Schüler durchaus zu einer solchen ideologiekritischen Betrachtung von visualisierter Geschichtsdeutung in der Lage.[...]

Die 7a veranstaltet ihre eigene Stadtführung
Weitaus spannender als eine lehrergeführte Stadtbesichtigung war die Durchführung einer „eigenen“ Stadtführung der 7a. Vorbereitet anhand eines touristischen Stadtführers, haben die Schüler Kurzreferate erarbeitet, die sie am jeweiligen „Ort des Geschehens“ auf einem Rundgang durch die historische Altstadt Münsters vortrugen. Dabei wurde dieser Gang für die Vorbereitungsteams, die ja zunächst nur „theoretisch“ gearbeitet hatten, zeitweilig ebenso spannend wie für die Zuhörer. Das zuvor nur angelesene Wissen auf die realen Gegebenheiten zu übertragen, erwies sich teilweise als recht schwierig: „Welcher Zeiger der astronomischen Uhr zeigt denn nun die Mondphasen an?“ „In welcher Ecke des Friedenssaals steht eigentlich der Goldene Hahn“'? Nobody is perfect! Auch mehr oder weniger gut kaschierte Pannen haben ihren Reiz - v.a. für die schadenfrohen Zuschauer!

Auf den Spuren der Wiedertäufer in Münster - ein Projekt im Leistungskurs 11
Diese oberstufengemäße Version einer selbständigen Auseinandersetzung mit der eigenen Stadtgeschichte ist im Rahmen der Zweiten Staatsarbeit eines Referendars am KvG erprobt worden. In diesem sehr aufwendig vorbereiteten Projekt erarbeiteten die Schüler zunächst in arbeitsteiliger Gruppenarbeit bestimmte Aspekte zum Thema „Wiedertäufer“ (theologische Grundlagen, Gesellschaftsvorstellungen, Herrschaftsmodell, soziale Herkunft, militärische Auseinandesetzungen mit den bischöflichen Truppen, usw.). Daraufhin wählten die einzelnen Gruppen symbolträchtige Orte der Stadt aus, anhand derer sie ihre Ergebnisse präsentieren konnten (Rathaus, Bischofspalais, Überwasserkirche, Stadtbefestigung/Promenade usw.). Die Gruppen koordinierten ihre Vorstellungen und entwarfen einen Rundgang durch die Stadt, auf dem schließlich anhand von Referaten an den jeweiligen geschichtsträchtigen Orten die historischen Bezüge erläutert wurden.

Stadtentwicklung - politische Geschichte - Kultur: dreimal Paris
Die Vorbereitung einer Kursfahrt des LK 12
Paris ist eine Reise wert - das gilt sicher besonders für reisende Historiker. Eine in Kooperation mit dem LK Französisch durchgeführte Kursfahrt wurde zuvor im Fachunterricht vorbereitet. Um den Schülern die Stadt, die die meisten von ihnen bis dahin noch nicht besucht hatten, vorzustellen, erwies sich ein dreifacher Zugriff als sinnvoll: Zunächst wurde - im Vergleich zu bereits im Unterricht behandelten Städten - die geographische Lage und topographische Entwicklung der Stadt anhand von Karten nachvollzogen. Im zweiten Zugriff erfolgte eine Wiederholung und Vertiefung der den Schülern im allgemeinen bereits bekannten französischen Geschichte, nun konzentriert auf die für die Hauptstadt Paris relevanten Entwicklungen. Schließlich wurde in einem dritten Ansatz anhand von Schülerreferaten die Geschichte einzelner Stadtviertel und Gebäude erarbeitet. So vorbereitet, profitierten die Schüler vor Ort von den Wiedererkennungseffekten und entwickelten eine ganz beachtliche Orientierungsfähigkeit und Selbständigkeit im Straßennetz der Großstadt Paris.

Hamburger statt Schokoriegel
Sollte „Duplo“ nun ausgedient haben? Vielleicht, aber auch wenn volle Bäuche bekanntlich nicht gerne studieren, so viel Aktivität in Sachen Bildung macht hungrig! Außerdem: Wer bei der Suche nach der historischen Identität und Individualität einer Region oder einer Stadt den Überblick verloren hat, sucht natürlich nach Orientierungen, nach Vertrautem und Bekanntem. Und ein solcher Geborgenheit vermittelnder Ort findet sich zum Glück für ganze Schülergenerationen in nahezu allen Großstädten der Weit, selbst in Münster: Hier trifft man sich nach seiner Rückkehr von der Reise in die Vergangenheit wieder, begrüßt die vertrauten Freunde „Big Mac“ und „Chicken Mac Nugget“ und genießt das Gefühl der heimatlichen Geborgenheit unter dem beschaulichen Flattern der leuchtend roten Fahne mit ihrem freundlich heruntergrüßenden geschwungenen gelben „M“.
Mechthild Theilmeier-Wahner in: Kardinal-von-Galen-Schule 1946-1996, Münster 1996