„Wütend, dass das Grauen je geschah!“

Text- und Bildproduktion im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald

Unterricht praktisch - das erlebten 37 Schüle-rinnen und Schüler des Kunst- und Deutsch-leistungskurses der Jahrgangsstufe 13 während ihres Aufenthaltes in Thüringen. An drei Tagen wandelten die Primaner auf historischen Spuren in Weimar und Erfurt. Untergebracht in der Jugendherberge in Erfurt wandte man sich am Tag nach der Ankunft der Kulturstadt Weimar zu. Hautnah konnten die Teilnehmer etwas von dem Glanz der berühmten Historie der Stadt erleben.
Unter fachkundiger Anleitung der beiden Be-gleitpersonen Werner Bockholt und Elisabeth Schulte Huxel wandelte man bei einer Führung vor allem auf Goethes Spuren, von denen sich noch viele in Weimar befinden und die man noch an vielen Orten wie dem Goethehaus oder dem Gartenhaus des be-rühmten Dichters entdecken kann. Auch die Person Schiller fand ihren Platz bei der Besichtigung des Schillerhauses. Aufgrund des schlechten Wetters blieb für die Schüler noch ausreichend Zeit, sich in gemütlichen Cafés aufzuwärmen.
Aber nicht nur Weimar, sondern auch die Lan-deshauptstadt Erfurt hatte ihren Platz im Programm der Jugendlichen, die die Stadt kennenlernten und den Spuren des Sozia-lismus nachgingen. Besonders der Dom und dessen künstlerische Aspekte interessierten die Teilnehmer der Studienfahrt. Auch die Altstadt war natürlich ein Muß.
Einen Vormittag verbrachte man zudem im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald, wo die Schüler die Eindrücke auf sich wirken ließen und sich vor Ort mit einem anderen Teil der deutschen Vergangenheit auseinander-setzten. Im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald wurde in Zusammenarbeit beider Leistungskurse ein fächerübergreifendes Pro-jekt begonnen, das später im Rahmen des Unterrichts weitergeführt werden sollte.
Die Schülerinnen und Schüler des Leistungs-kurses Deutsch hatten dabei die Aufgabe, ihre Eindrücke zu verbalisieren und in eine ver-dichtete, expressive lyrische Form zu bringen. Währenddessen waren die Schülerinnen und Schüler des Leistungskurses Kunst damit be-faßt, Fotos zu erstellen, die später in der Dun-kelkammer der Schule entwickelt werden sollten. Dabei sollten sich die Fotos auf Details beschränken, in Ausschnitten Spuren der Geschichte freilegen und visualisieren.
Ziel dieses fächerübergreifenden Projektes war es, die Teilnehmer zur Auseinanderset-zung mit einem der schrecklichsten Kapitel der deutschen Geschichte zu bewegen und ihnen Möglichkeiten zu bieten, ihre Eindrücke in schriftliche und visuelle Formen umzusetzen.
Leistungskurse 13 Kunst (Werner Bockholt) und Deutsch (Elisabeth Schulte Huxel) in: Kardinal- von-Galen-Schule 1946-1996, Münster 1996
01 GEGENSÄTZE
Diese Weite überwältigt mich
und doch fühle ich mich bedrängt.
Ich sehe eine harmlose Ansammlung von Steinen
und doch weiß ich von ihrer Bedeutung.
Die Vergangenheit liegt weit hinter mir
und doch ist sie hier in greifbarer Nähe.
Mein Verstand sagt mir: Sei froh!
und doch ist in meinem Herzen eine tiefe Trauer.
Ich bin glücklich, daß das Grauen vorbei ist
und wütend, daß das Grauen je geschah!
Kristin Reichel
STUMM
Wind klagt stumm den Steinen
Musik zerfetzt im Stacheldraht
Worte bleiben hängen
Floskeln sind dehnbar
Sie schlüpfen hindurch
„Nieder mit - !“ oder
„Gegen - !“ oder sogar
„Nie wieder - !“
Kein Stein will sie hören
Es bleibt nur der schmerzende Wind
Jeder Stein - ein Mensch
Hartmut Jaunich
02
05 JEDEM DAS SEINE
Verzweiflung
Hoffnungslosigkeit
immer wiederkehrende Unruhe
Ohnmacht
Dunkelheit
Rauch der zum Himmel steigt
Schreie
endlose Qual
Anonymität
Isaak Goldstein
Name ohne Bedeutung
sinnlos
Verbrechen an die Menschheit
ein Ort des Grauens
Viola Clewemann
GOTT SEI DANK
Die Nachbarn sind weg
Wurden heute morgen abgeholt
Wir haben nichts gemerkt
Aus den Viehwagen kommen Rufe
Wie Lämmer auf dem Weg zum Schlachter
Wir haben nichts gedacht
Auf den Feldern arbeiten Skelette in Sträflingskleidung
Kinder sind auch dabei
Wir haben nichts gesehen
Manche erzählen von Gefangenenlagern
Dort würden Menschen zu Tausenden vernichtet
Wir haben nichts gehört
Konzentrationslager ist deutsch
Es bedeutet: Hölle
Gott sei Dank, wir haben das nicht gewußt.
Jens Plath
06
03 Zäune die die Kälte fingen
Öfen die verschleiern sollten
Wälder die verbargen
Wände die die Schreie schluckten
Wege die die Angst spürten
Symbole der Unmenschlichkeit
Ohnmachtszeichen im Kampf gegen die Ignoranz
Sven Henrik Häseker
04 Wohlig warm - rund und satt
Ausflug
Gedenkstätte Buchenwald
Lachen hallt durch den Raum -
Fröhlichkeit
hin und wieder
verstummt das Lachen -
Erinnerungen
winzige Löcher im Bretterzaun
wild wuchert Efeu über ehemalige Todesstätten
Gras
wächst über alles
über die Baracken
über die Erinnerung
grünes Gras
Zeichen des Lebens
Leben geht weiter
sorglos
erinnerungslos
Anne Everding