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Weimar. Bei Goethe, Schiller und Co. Ein Stadtbuch. Hrsg. Elisabeth Schulte Huxel, Werner Bockholt, Warendorf 1995 |
Leseprobe |
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Eine Reihe gebrochener Herzen säumte den Weg des GeniesAus dem Tagebuch der Charlotte von Stein Im Juli 1788. Ein Blumenmädchen, heißt es, und der genaue Gegensatz zu der Von Stein. Eine Bürgerliche soll sie sein, und dem Herrn Goethe geradewegs ins Haus gelaufen. Die habe gar keine Skrupel und es so geschickt angestellt, daß der Herr Minister so überrumpelt gewesen sei, daß er sie gar nicht mehr rauswerfen hätte können. Und jetzt will er auch gar nicht mehr. Lesen und Schreiben seien die einzigen geistigen Leistungen, die sie vollbringen könne, wenn überhaupt, dafür würde es an anderen aber nicht mangeln. Erst habe sie nur im Gartenhaus gewohnt, doch jetzt sei sie an den Frauenplan gezogen und angeblich als Stubenmädchen, vielleicht sogar als Haushälterin tätig. Ein italienischer Typ soll sie sein, na dann kann der Herr Dichter ja weiter in seinen römischen Elegien schwelgen. Und die ganze Familie Vulpius wohne inzwischen schon mit Christiane bei Goethe. |
In dieser Zeit konnte ich niemandem gerecht werden, denn auch Josias brauchte mich, um über den Verlust seines Sohnes hinwegzukommen. Dazu mußte der Haushalt geführt werden. Meine Pflichten wurden immer größer, und die Stunden, die ich für Goethe damals nannte ich ihn noch liebevoll Wolf - übrig hatte, immer geringer. Waren wir dann zusammen, so waren meine Gedanken oft ganz woanders. Aber auch Goethe fehlte das Verständnis für meine Zerstreutheit, und er drängte mich, ihm und seinen Problemen zuzuhören. Häufig redete er davon, daß ihm nicht genug Zeit für seine Studien, sowohl der Künste als auch der Wissenschaft, blieb. Als er nach Weimar kam und ihm Aufgaben im Herzogtum übertragen wurden, da fühlte er sich von deren Fülle und Vielfältigkeit herausgefordert. Doch blieb seine eigentliche Berufung dabei auf der Strecke, wie er meinte, und er empfand Weimar immer mehr als einen Käfig, der ihn durch seine Ämter gefangen nahm. Als mein Sohn dann krank wurde, fehlte mir die innere Gelassenheit, um genügend auf ihn einzugehen. Er sah mich wohl als das einzige an, was ihn in Weimar hielt. Als er diesen Halt dann langsam zu verlieren schien, gab es für Goethe scheinbar immer weniger Grund, in Weimar zu bleiben. Aber auch vorher hatte sich schon etwas in unserer Freundschaft geändert. Ich hätte diese Veränderung als beginnende Routine, wie sie sich in jede lange Beziehung einschleicht, abtun können, aber ich merkte, daß ein Gefühl der Sicherheit, welches mit dem Alltag kommt, fehlte. Am Anfang unserer Freundschaft, als Goethe in mir und ich in ihm eine verwandte Seele entdeckte, kam er mit seinen aufgewühlten Gefühlen zu mir, und ich konnte ihm die nötige Ruhe und Ausgeglichenheit geben. Da konnte ich weiterleben, wie aus dem zum Subjektiven neigenden Jungen ein nach künstlerischer Reinheit und Ordnung suchender Mann wurde. Nach und nach distanzierte er sich auch von den Streichen des Herzogs. Wir befanden uns in einem unwirklichen und zwiespältigen Zustand des Glückes, das immer nur für wenige Stunden anhielt. Unser Verhältnis war einerseits wie das von Geschwistern, so verglich er mich auch oft mit seiner Schwester. Andererseits ging es weit darüber hinaus, da wir uns und unseren gegenseitigen Gedanken so vertraut waren. Er war für mich wie ein Sohn, Vertrauter und Geliebter. Wir meinten, daß wir füreinander bestimmt seien. Etwas, was das Schicksal nicht vielen Menschen vergönnt. Einmal, 1781, schrieb er mir: „Meine Seele ist fest an die deine angewachsen. Ich mag keine Worte machen; du weißt, daß ich von dir unzertrennlich bin und daß weder Hohes noch Tiefes uns zu scheiden vermag. Ich wollte, daß es irgendein Gelübde oder Sakrament gäbe, das mich dir auch sichtbar und gesetzlich zu eigen machte; wie wert sollte es mir sein; und mein Noviziat war doch lang genug, um sich zu bedenken. - Die Juden haben Schnüre, mit denen sie die Arme beim Gebet umwickeln; so wickle ich dein holdes Band um den Arm, wenn ich an dich mein Gebet richte und deiner Güte, Weisheit, Mäßigkeit und Geduld teilhaft zu werden wünsche. Ich bitte dich fußfällig, vollende dein Werk; mache mich recht gut!“ Oft, wenn wir beieinander saßen, haben wir uns vorgelesen, und es kam nicht selten vor, daß es seine Werke waren, die wir lasen. Auch wenn Goethe sich beklagte, er fände keine Zeit mehr für sein Schreiben. Ich war immer die erste, die von neuen Arbeiten erfuhr und diese vorgelesen bekam. Dann wurde ich auch zur Kritikerin, doch hörte Goethe diese Kritik lieber von mir, die seine Gedanken verstand, als von seinem Verleger, oder schlimmer noch, von den Weimarer Klatschbasen bei Hofe, die bei allem und jedem das letzte Wort haben wollten. Diese Klatschbasen redeten nicht nur über seine Werke, sondern auch über unsere Freundschaft, die vielen unverständlich war. Trotz des Geredes gelang es mir aber, meinen Ruf zu wahren. Goethe wußte, was ich für ihn aufs Spiel setzte, doch wußte er auch, daß ich nicht bereit war, meine Position und mein Leben, das ich mir aufgebaut hatte, für eine leichte Romanze zu riskieren. Konnte ich doch nicht nur an mich, sondern mußte auch an meine Familie und Josias denken. Vielleicht ahnte ich, daß unser Glück, auch wenn wir es für ewig hielten, nicht unendlich war. Hatte ich doch schon gehört, wie er plötzlich arme Mädchen wie Frederike Brion verließ oder das Verlöbnis mit Lili Schönemann löste. Jetzt kann ich mich auch zu diesen Geschöpfen zählen, die ich gerade noch so mitleidig „arm“ genannt habe. Und ich frage mich, ob Christiane auch einmal zu den Verlassenen gehören wird. Wenn ich mir unsere gemeinsame Zeit und ihr Ende noch einmal ins Gedächtnis rufe, dann denke ich, daß es richtig war, unsere Freundschaft abzubrechen. Ich kann nicht jemandem vertrauen, der dieses Vertrauen so weit ausreizt, daß er für zwei Jahre ohne eine Erklärung seine eigenen Wege geht und dann erwartet, daß alles so ist wie vorher. Damals, nach dem gemeinsam verbrachten Sommer in Karlsbad, vollzog er auf feige Weise die eigentliche Trennung, ohne mir dies aber mitzuteilen. Letztlich zog ich nur die Konsequenz aus seinem schon begonnenen Abschied. Deshalb kann ich den Grund für meine Traurigkeit und Gekränktheit auch nicht in Christiane Vulpius suchen. Eher ist er in dem Mann zu finden, von dem ich glaubte, daß er seine jugendlichen Ausbrüche mit seiner Entscheidung, in Weimar zu bleiben, hinter sich hätte. Unser gegenseitiges Leben wird sich nebeneinander abspielen. doch werden wir uns nicht mehr viel zu sagen haben, das verbietet mir schon allein mein Stolz. Innerlich erstarrre ich, die Kälte in meinem Herzen hilft mir aber auch, diese Erniedrigung, als solche empfinde ich die Vulpius, zu ertragen. Mit dem Gefühl, meinen Beitrag zum Werk des Genies geleistet zu haben, schließe ich dieses Kapitel und widme mich wieder meiner eigenen Welt. Einmal muß aber ein Schlußstrich gezogen werden, und das hätte schon lange geschehen sollen. Ich bin kein junges Mädchen mehr, sondern 45 Jahre alt und weine keinem Mann mehr hinterher, aber ich bin auch nur eine Frau. Susanne Kaiser |
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Sie hat es jetzt mit einem reifen und angesehenen Goethe zu tun, der es sich auf Grund seiner Stellung als angesehener Dichter und Freund des Fürsten erlauben kann, sein Privatleben an die Öffentlichkeit zu tragen, also seine Mätressen in sein Haus zu holen. Denn ganz Weimar weiß, was es mit der neuen Haushälterin auf sich hat. Ganz Weimar außer mir wußte es schon lange. Ich erfuhr es nicht, so wie ich auch nichts von Goethes italienischen Plänen wußte. Doch lebt noch immer mein Sohn Fritz am Frauenplan, denn dieses Zeichen unserer einstigen Freundschaft läßt sich nicht durch eine kindische Flucht nach Italien aufheben. Damals waren wir so vertraut, daß Goethe sich eher als Vater meiner Kinder fühlte als Josias. Deshalb schlug er auch vor, Fritz, der für eine Erziehung als Page nicht geeignet war, in sein Haus zu nehmen und ihn wie einen Sohn zu behandeln. Und Fritz lebt noch immer bei ihm, und er hat mir vom „Bettschatz“ Christiane, von Goethes neuer Freundschaft, erzählt. Als ich über ihn davon erfuhr, fühlte ich mich, als hätte mir jemand ins Gesicht geschlagen, als könnte ich das Gelächter des Hofes bis in mein Haus hören, das zu sagen schien: mit geistvollen Gesprächen allein kann man sich auch keinen Dichter halten. Und Goethe meint, er hätte es nicht nötig, mir Rechenschaft abzulegen. Zehn Jahre sind auf einmal wie weggewischt, und ich habe keinen Anspruch darauf zu erfahren, wer meinen Platz angenommen hat. Alle durften es wissen außer mir. Dabei war ich früher über jede kleinste Änderung seiner Gefühlswelt informiert und kannte ihn: Der er jetzt ist, der war er im November 1775, als er in Weimar erschien, noch lange nicht. Damals war er noch der egozentrische junge Mann, der in dem von ihm selbst entworfenen Wertherfrack herumlief und, von Jugendstürmen gedrängt, mit dem Herzog den eigenen Launen huldigte. So schätzte ich ihn jedenfalls ein, als ich zum ersten Mal hörte, wie er nachts mit fürstlicher Unterstützung die Weimarer durch seinen Lärm weckte. |