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Das unterwanderte Börsenspiel: Wer betrügt, fliegt - oder auch nicht Wie jedes Jahr hatte Oberorganisator Heinz Braunsmann seinen zwar nicht brandaktuellen, aber doch zuverlässigen Atari-Computer mit auf die Insel gebracht. Mit dessen Hilfe wurden zufallsgesteuerte Teilnehmerlisten für die Fahrradralley, Klassenlisten, Top-Ten- und Top-Hundert-Hitlisten erstellt. Dieser kleine mit japanischem Hightec vollgestopfte Bursche war auch die Schaltstelle des Börsenspiels „Ameland 2001“. Für Uneingeweihte eine kurze Erklärung: Jeweils drei Mitspieler konnten sich als Börsengruppe mit einem aussagekräftigen Namen anmelden (etwa als „Bill Gates Söhne“ oder auch als „Die Idioten“). Sie erhielten ein Startkapital von 200.000 Euro, um es möglichst gewinnbringend in verschiedene Aktien zu investieren. Täglich, manchmal bis zu dreimal täglich wurden die neuen Kurse von 55 ausgewählten Aktien publiziert. Informationen zu den Firmen und deren bisherige Aktienentwicklung gab es für jede Klasse in einem eigenen Börsenspielordner. Also nix wie angemeldet: 3 Namen, Klasse und Gruppenname auf den Anmeldezettel. Vom Chef in den Atari eingegeben, druckte dieser gleich im Gegenzug den ersten Depotauszug. Jetzt die Köpfe zusammengesteckt und ausgehandelt, welche Aktien zuerst gekauft werden sollten. Das Gewünschte auf vorgedruckte Bestellzettel eingetragen, im Chefzimmer abgeben und ab in den Atari zur Datenverarbeitung. Meist zum Frühstück wurden in jeder Klasse die neuen Aktienkurse ausgehängt, und jede Gruppe erhielt ihren neuen Depotauszug. |
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Mit großem Hallo wurden erste Gewinne begrüßt oder auch kleine
Verluste achselzuckend hingenommen, um anschließend zu beraten und
voller Hoffnung neue Order im Atari-Chefzimmer abzugeben. Immerhin winkte
der Gewinnergruppe ein Rundflug über Ameland. Mit zunehmender Dauer
des Spiels meldeten sich immer mehr Gruppen an, und schließlich
brach ein regelrechtes Börsenfieber aus. Da wollten Mitarbeiter Christian, Karen und ich auch dabei sein, aber wir hatten unsere eigenen, bösen Pläne. Denn ein günstiges Schicksal spielte uns die zukünftigen Kursentwicklungen in die Hände. Diese waren ja nicht wirklich aktuell, sondern vom Börsenspielinitiator in mühsamer Kleinarbeit über den Zeitraum des vergangenen Halbjahres zusammengetragen und in den kleinen Atari eingegeben worden. Jedenfalls befand sich unter den Anmeldezetteln auch der von Anne, Tobias und Nicole, angeblich Mitglieder der 8c, die als „The Terrible Three“ („TTT“) mitmischen wollten. |
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Schon beim Eintippen dieser Gruppe wurde Heinz Braunsmann aufmerksam: „Das
ist ja absolut ungewöhnlich, dass ein Kerl mit zwei Mädels eine
Gruppe aufmacht“. Als diese dann gleich 1000 Stück der Microsoftaktien
orderten, meinte er: „Wenn sie die bis zum Schluss behalten, haben sie
eigentlich jetzt schon gewonnen.“ Au weia, jetzt hieß es aber
ein wenig Zurückhaltung üben. Damit die Schülerinnen und Schüler der anderen Gruppen nichts merkten, erklärten sich die wirklichen Mitglieder der anonymen Börsengruppe immer gerne bereit, die Börsenauszüge in den Klassen zu verteilen und dabei den Zettel von TTT heimlich an sich zu nehmen. Wenn man die Kurse des nächsten Tages kennt, ist es nicht schwer, das eigene Startkapital schnell zu vermehren. Aber es ist verdammt schwer, das unter den wachsamen Augen von Heinz Braunsmann zu tun. Eines Tages saß er vor seinem Atari und sinnierte: „Jetzt haben die schon ein paar Mal Aktien gekauft und genau am richtigen Tag wieder verkauft, als ob sie die Kurse kennen würden. Wer ist das überhaupt?“ Ein anderes Mal: „Heute haben sie Porscheaktien gekauft. Die steigen morgen um 20 Euro. Wenn sie die dann verkaufen, ist was faul.“ Also nicht verkaufen und den fetten Gewinn sicherheitshalber lieber sausen lassen. |
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Eines Tages hatte sich der Ataribeherrscher tatsächlich aufgemacht, um Anne,
Tobias und Nicole aufzuspüren und zur Rede zu stellen. Diese Vornamen
waren sinnigerweise mehrfach vertreten, aber Klassenlehrer Fritz Rickert
war sich sicher: „In meiner 8c sind die nicht.“ Nanu, Herr B. aus
S. fragte ein wenig verdutzt seinen Mitarbeiter Christian nach der Gruppe.
„Ach so, die“, meinte der verzweifelt um eine Ausrede ringende Mitbetrüger,
„die kenne ich, glaube ich. Die sind aus verschiedenen Klassen und spielen
auch noch in anderen Gruppen mit.“ Gut gesprochen, Christian, denn
diese Antwort rief die spontane Anerkennung von Börsenguru Braunsmann
hervor. „Das ist ja echt pfiffig von denen.“ Und die Bedenken waren
erst mal zerstreut. Schlimmer war, dass eines Tages der Depotauszug von TTT in die Finger von Mitspielern fiel, die sich angesichts der enormen Gewinne prompt beschwerten: „Die haben sicher eine Börsenzeitung mit den Kursen vom letzten Halbjahr. Die kaufen und verkaufen immer zum richtigen Zeitpunkt.“ Wieder hatte Christian die richtige Antwort zur Hand: „Wir wissen, wer das ist und beobachten die Gruppe schon eine ganze Weile. Wenn da was faul ist, werden sie disqualifiziert.“ Der Amelandaufenthalt näherte sich seinem Ende, das Börsenspiel auch. Heinz Braunsmann war mehrfach misstrauisch geworden, aber wirklich gemerkt hatte er nichts. Was sollten wir tun? Wir konnten schlecht den Rundflug gewinnen. Also mussten wir den Karren gegen die Wand fahren. Es war gar nicht so einfach, innerhalb kurzer Zeit soviel Verluste zu machen, dass die schrecklichen Drei die Hitliste der erfolgreichsten Börsenspielgruppe nicht mehr anführten. „Jetzt kaufen die so einen Mist“, kommentierte dann auch der Chef, „alles futsch und der Rundflug auch.“ Als wir abends in gemütlicher Runde zusammensaßen, haben wir natürlich gestanden. Den Spaß wollten wir uns nicht nehmen lassen. Der Projektleiter nahm's mit gelassenem Humor: „Jetzt wird mir einiges klar“. Was wohl passiert wäre, wenn wir gewonnen hätten? Wer betrügt, fliegt - raus. Aus. Christoph Speicher |