Ameland
Ameland
Ameland 1996
mit dem KvG
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Die erste Amelandfahrt fand im September 1980 statt, zunächst als "Schnupperfahrt"
mit nur einer Schulklasse. Franz Swietlik und Fritz Rickert waren die Ameland-Pioniere,
die in Kolumbus-Manier das westfriesische Eiland für's KvG entdeckt und
die nötigen Voraussetzungen überprüft hatten. Mit der Schulklasse
vor Ort waren damals Franz Swietlik und Walter Düppers. Bereits im Folgejahr
wurde Ameland von einer kompletten Jahrgangsstufe 8 heimgesucht. "Reif
für die Insel" heißt es seitdem für alle nachfolgenden
Jahrgänge, wenn nach den Sommerferien im September die Amelandfahrt ansteht.
Es ist schon ein beachtlicher Tross, der da Jahr für Jahr auf den Weg
geht, denn außer den 100 Schülern sind, Kocheltern eingeschlossen,
noch an die 20 Begleiter dabei, die sich auf ihre Aufgabe trotz der hohen
Belastung und Verantwortung freuen. Der Organisationsaufwand ist beträchtlich,
von der Buchung der Quartiere, der Fähre, der Busse bis zu Kondensmilch,
zur Heftzwecke oder zum Klebeband muss an alles gedacht sein. Umfangreiche
Einkäufe müssen getätigt werden, die Finanzierung muss stimmen,
das Programm muss auf die wechselnden Begleitpersonen und die Möglichkeiten
vor Ort abgestimmt werden. Schon vor der Fahrt, erst recht aber auf der Insel
wird eine Menge Zeit investiert. Zeit, die sich lohnt, so sagen immer wieder
die Kollegen, die sich bereit finden, eine solche Fahrt durchzuführen.
Nicht ohne Grund hat sich hier eine langjährige Tradition entwickelt.
Die ursprüngliche Konzeption als Schullandheimaufenthalt, vervollkommnet
durch die Jahr für Jahr neu hinzutretenden Erfahrungen der begleitenden
Kollegen, hat sich im Grundsatz bewährt. Die Palette der Unternehmungen
und Erfahrungen ist schillernd und vielseitig. Sie reicht von der Jahrgangsstufenfete
bis zum Schachspiel, von der Fahrradrallye mit hundert Beteiligten bis zum
Gespräch in der Kleingruppe, von der gewöhnlichen Mathematikstunde
bis zur Nachtwanderung zum Leuchtturm.
Vielfältig sind die Reize, denen die Achtklässler 12 Tage lang in
komprimierter Form ausgesetzt sind. Allein schon das ganztägige Zusammensein
von Lehrern und Schülern ist ungewohnt. Hier ist der Lehrer nicht jemand,
der morgens das Klassenzimmer betritt, die Aktentasche aufs Pult stellt und
sein Wissen ausbreitet. Die Lehrerin ist nicht nur die unnahbare Person, die
die Hausaufgaben kontrolliert und gute oder auch schlechte Noten verteilt.
Hier ist der Mitschüler nicht nur jemand, der einen bei der Klassenarbeit
mal abschreiben lässt oder in der großen Pause beim Tischtennis
mitmacht. Und die Mitschülerin, die einen sonst nur vormittags mit ihrem
albernen Gequatsche stört, ist nachmittags auch noch da.
Ameland ist mehr. Es ist mehr als nur eine simple Klassenfahrt. Es ist mehr
als eine Freizeitunternehmung oder eine Urlaubsreise. Es ist aber auch mehr
als die Verlagerung von Schule an einen anderen Standort. Und es ist mehr
als nur ein sozialintegratives Wochenendseminar.
Die Möglichkeiten, die die Fahrt bietet, scheinen schier unerschöpflich,
sowohl im unterrichtlichen als auch im freizeitorientierten Bereich. Unterricht
ist hier völlig losgelöst von Lehrplänen und schulorganisatorischen
Zwängen möglich, nicht das Klingelzeichen hat das Regiment, vielmehr
diktieren Eigeninitiative und Ideenreichtum den Tagesablauf. Die Insel selbst
bietet schon hinreichend Stoff für den täglichen Unterricht. Ihre
naturräumlichen Eigenheiten, die spezifischen Lebensbedingungen für
die Tiere und Pflanzen, aber auch die kulturräumlichen Aspekte können
im Fachunterricht oder auch in fächerübergreifenden Projekten thematisiert
werden. Die Insel selbst (vom Wattenmeer bis zur Dünenlandschaft) oder
ihre Institutionen (Heimatmuseum, Naturkundemuseum) können zum Klassenzimmer
werden. Auf einer Kutterfahrt oder während einer Wattwanderung ist die
Auseinandersetzung mit Unterrichtsgegenständen möglich, für
die an der Schule die Voraussetzungen nicht in dieser günstigen Weise
gegeben sind.
Fast fließend ist der Übergang von dem, was man als Unterricht
verstehen kann, zu den Freizeitangeboten. Kennzeichnend ist die differenzierte
Angebotsstruktur, die den individuellen Neigungen der Schüler ideal entgegenkommt.
Hier ist die Verwirklichung von musischen oder künstlerischen Vorhaben
in Muße möglich. Basteln und sportliche Betätigung bilden
weitere Schwerpunkte im Freizeitbereich. Als Beispiele seien immer wiederkehrende
"Renner" unter den Projekten genannt, wie Fotoprojekte, Stoffmalerei,
Drachenbau, Arbeiten mit Gips, Ameland-Zeitung, Strand-Olympiade, Naturkosmetik,
Theaterspiel und viele mehr.
Natürlich darf auch der nötige Freiraum und das Vergnügen nicht
zu kurz kommen. Bei allem respektablen Einsatz seitens der Lehrperson sehen
die jugendlichen Schüler selbige verständlicherweise gerne auch
einmal von hinten. So ranken sich um die organisierten Angebote herum naturgemäß
auch Freiräume, die von den Schülern sehr unterschiedlich genutzt
werden, sei es zu Spiel und Sport, zu einem Gang in die "City" von
Hollum oder einfach auch zum Lesen oder gemeinsamen Singen. Hohen Stellenwert
haben hier die gelegentlichen Disco-Feten, deren Ende die Schüler mit
viel Überredungskunst möglichst weit hinauszuschieben versuchen.
Dunkel und laut müssen sie sein, das macht frei.
Nicht zuletzt das Gefühl von Freiheit macht den Inselaufenthalt für
die Schüler zu einem besonderem Erlebnis. In gemeinsam gestalteter Freizeit
unter den hier gegebenen Rahmenbedingungen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens
machen die Schüler neue soziale Erfahrungen. Die Notwendigkeit für
gegenseitige Rücksichtnahme und Akzeptanz der unterschiedlichen Interessen
fördert das Sozialverhalten der Schüler, erzeugt aber auch Konflikte,
deren Bewältigung nicht immer leicht ist. Gespräche werden notwendig,
Diskussionen werden geführt, sowohl unter den Schülern, als auch
zwischen Lehrern und Schülern. Solche Prozesse benötigen Zeit, sie
laufen nicht in wenigen Tagen ab. Die Erfahrung zeigt, dass die vorgesehenen
12 Tage in der Regel reichen, die anfänglich reizüberflutete Gesamtsituation
in eine stabile und ausgeglichene Form gemeinsamen Zusammenlebens einmünden
zu lassen.
Wenn so manche Eltern nach Ablauf der Fahrt den Eindruck gewinnen, ein anderes,
neues Kind zurück erhalten zu haben, so ist das sicherlich kein negatives
Indiz für den Erfolg von "Ameland". Ein Schritt in der Entwicklung
des jugendlichen Menschen, den die Eltern selbst nicht miterlebt haben, schlägt
sich hier nieder und verlangt verständnisvolle Aufnahme zu Hause. Fatal
wäre es wohl, man würde die zwischenzeitliche Abwesenheit des Kindes
lediglich am rückläufigen Wasserverbrauch festmachen können.
Schule ergreift hier in aktiver Weise die Möglichkeit zur pädagogisch
sinnvollen Erziehung, die weit über einen bloßen Bildungsauftrag
hinausragt. Das KvG nutzt diese Möglichkeit mit dem Amelandprojekt hoffentlich
noch lange.
Heinz Braunsmann (1996)