Ameland
Ameland
Ameland 1986
mit dem KvG

Schullandheim Ameland

Freizeitvergnügen oder pädagogische Arbeit in besonderer Situation?

01 02 03
04 05

Inzwischen hat es schon Tradition: Nach den Sommerferien fährt [...] [die] Jahrgangsstufe 8 zum Schullandheimaufenthalt auf die Insel Ameland.
Die Schüler sind durchweg begeistert von der Aussicht auf Abwechslung, auf ein Loskommen vom schulischen Alltag. Schon in der Vorbereitungsphase ist die Hoffnung auf Vergnügungen jeglicher Art deutlich zu spüren. In den Stunden, die der Vorbereitung der Klassenfahrt dienen, ist die Aufmerksamkeit und die Bereitwilligkeit zum Mitmachen besonders groß. An Ideen für die Ausgestaltung der „Ferien“ mangelt es nicht.
Anders sieht es in der Lehrerschaft aus. Auch der reisefreudigste unter ihnen sieht mit Sorge eine Fülle von Belastungen auf sich zukommen: die Planung, die Verantwortung gegenüber Schülern und Eltern, die Durchführung der Fahrt, während der es keine Freizeit gibt, die andersartige Lebensführung in einfachen Verhältnissen und anderes mehr. Trotzdem sind viele Lehrer immer wieder bereit, eine solche Fahrt durchzuführen, weil wir alle davon überzeugt sind, dass es sich lohnt.
Schon in der Vorbereitungszeit ist die Möglichkeit gegeben, die Schüler maßgeblich zu beteiligen. Im Gespräch mit der Klasse wird der Ablauf festgelegt, wobei die unterschiedlichsten Interessen erkennbar werden. Dies führt insbesondere zur Auseinandersetzung mit Wünschen von Minderheiten. Einzelne Aufgaben können an Schüler oder Schülergruppen delegiert werden.
Gleichzeitig wird schon hier ein entscheidender Vorteil der Insel Ameland als Aufenthaltsort deutlich. Die landschaftliche Vielfalt: Meer, Strand, Dünengebiet, Sumpf, Wiese, Deich und Watt bietet ein fast unerschöpfliches Reservoir an Betätigungsfeldern. Hier wechseln naturbelassene bzw. -geschützte mit intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen ab. Das Watt mit seiner enormen ökologischen Bedeutung als Kinderstube vieler Nordseefische ist ebenso integrativer Bestandteil der Unternehmung (Wattwanderung, Kutterfahrt) wie der nur zwei bis drei Kilometer entfernte Strand auf der der offenen Nordsee zugewandten Seite der Insel.
Themen für den täglichen Unterricht lassen sich problemlos in Theorie und Praxis an die Umgebung anbinden, ja ergeben sich häufig direkt aus Fragen der Schüler. Die Landschaftsformen oder die Gezeiten (Geographie), die Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere (Biologie) oder der Inselbewohner (Geschichte, Sozialwissenschaften), die Navigation oder Astronomie (Physik, Mathematik), das Rollenspiel oder Theaterstück (Deutsch, Fremdsprachen) seien exemplarisch genannt. Fachübergreifendes .Arbeiten ist ebenso denkbar wie der Einbezug des Heimat- oder Naturkundemuseums der Insel. Besonders wichtig für den situativ bedingten und begünstigten Unterricht ist der Zeitfaktor. Es gibt keinen Zwang zur 45-Minuten-Einheit, die Arbeitssequenzen können an die Bedürfnisse angepasst werden.
So wie der Unterricht gehört natürlich auch das Vergnügen zum Schullandheim. Mehrtägige Projekte (nachmittags), die Fahrradrallye, der Gemeinschaftstag, die Nachtwanderung sind hier ebenso zu nennen wie eine Fete. Dies ist ja auch ein Teil der Besonderheiten eines Schullandheims. Man ist den ganzen Tag mit den Mitschülern und Lehrern auf relativ engem Raum zusammen. Daraus ergeben sich vielfältige Möglichkeiten zu Anstößen im Bereich des sozialen Lernens. Unterschwellig vorliegende, unausgearbeitete Konflikte treten zu Tage und werden so zum Teil abgeschwächt oder gar kompensiert; das vielleicht wichtigste aber ist das bessere Kennenlernen der Teilnehmer, wodurch die gegenseitige Akzeptanz mit allen persönlichen Schwächen erleichtert werden kann.
Dient also der Amelandaufenthalt in erster Linie der sozialen Erziehung? Ich glaube nicht. Im Freizeitbereich bieten sich Gelegenheiten zur passiven Beschäftigung (z.B. Lesen, Musikhören), zur kommunikativen Erlebnisentfaltung (z.B. Gruppenaktivitäten) und zur expansiven Daseinsaneignung (aktive Tätigkeiten, z.B. Sport). All dies geschieht im Rahmen der Klasse bzw. Jahrgangsstufe und eröffnet die Chance zur kritischen Reflektion von Freizeitverhalten.
Schließlich sei noch erwähnt, dass der Amelandaufenthalt für die Klasse ein Gemeinschaftserlebnis von hohem emotionalem Wert darstellt, wodurch das Klassenleben auch für die Zukunft positiv geprägt wird, wenn auch die Umstellung auf den gewöhnlichen Schulalltag mitunter recht schwer fällt.
Es bleibt zu hoffen, daß Ameland auch für die Zukunft ein wichtiger Einschnitt im Schulleben unserer Schüler sein wird, getragen von der Einsatzbereitschaft vieler Lehrer, der selbstlosen Bereitwilligkeit unserer Ekern, ohne deren aktive Mitarbeit in der Küche ein so preisgünstiges Schullandheim undenkbar wäre, sowie der kreativen Anteilnahme aller Schüler!
Arno Fischedick in: Kardinal-von-Galen-Schule 1946-1986. Festschrift zum 40jährigen Jubiläum, Münster 1986