Abschlussfahrt der 10a und 10d nach Berlin 1979
mit Herrn Schulze Frenking und Herrn Lütke Schelhowe
Oh mein Gott, ja, die Berlinfahrt.im Sound, der Drogendisco [...]. Mir war schlecht,
sogar ohne Drogen, und ich wollte nach Hause. Dann habe ich mich verlaufen und
kam irgendwann an eine Straßenkreuzung, an der es nur eine Laterne gab.
Unter dieser Laterne stand eine Dame mit Stiefeln bis zur Halskrause, langen
Haaren und einer überwältigenden “Brustmuskulatur”. In
meiner Hilflosigkeit habe ich sie angesprochen und gefragt, wo denn die Kurfürstenstraße
sei. Sie sah mich abschätzend an und reagierte nicht. Ich beschloss, ausgerechnet
dieser Person die Sachlage zu erklären und beschrieb wahrheitsgemäß,
dass wir dort im Jugendgästehaus untergebracht seien und ich mich verlaufen
habe, nachdem ich das Sound verlassen hatte. Da wurde sie freundlich und erklärte
mir den Weg. Ich fand es aufregend, dass man als Frau eine so tiefe Stimme haben
kann. (Wenn ich das meinen Kindern erklären würde, würden sie
mir vermutlich sagen: “Oh, ähm, geh!”. Das heisst nicht, dass
man gehen soll, sondern dass der Situation Klarheit fehlt. Bein chatten kürzen
sie es dann mit “omg” ab.)
Jedenfalls bin ich der Wegbeschreibung dieser Person gefolgt und wäre
an unserem Haus vorbeigelaufen, wenn ich nicht plötzlich gerufen worden
wäre. Die Klassenkameraden hatten mich entdeckt, ich war schon vermisst
worden. Ich wäre an dem Haus vorbeigelaufen, mir war wirklich schlecht.
Dann war da noch der offizielle Teil. Herr Lütke Schelhowe hat uns da mit
so einem Senatsknaller in einen Saal gesteckt, und dieser Birnenpflücker
hat uns weismachen wollen, dass die Mauer Kontakte fördert. Er habe beispielsweise
seiner Mutter zum Geburtstag Blumen gebracht, die er ohne Mauer wohl nur geschickt
hätte. Dem Birnenpflücker könnte ich heute noch ins Hemd treten.
[...]
Einen Tag waren wir in Ostberlin. Dirk Saerbeck hatte seine Filmkamara mit.
Als Fremdenführer bot sich uns dort eine junge Bulgarin an. Ihr Name
war Borislava Sarafka. Sie hatte etwas ganz Überzeugendes, etwas, womit
sie mich einnahm. Dirk hat mir hinterher ein Bild von ihr gegeben. Eine Einzelaufnahme
aus einem Super-8-Film. Die habe ich noch lange behalten.
Ich weiß noch, wie bedrückend Ostberlin war. Von der Stimmung konnte
ich Anfang der 90er Jahre noch was merken.
Martin Volbers
Fotos: Martin Albrecht, Ulrike Pattberg-Voß, Olaf Schwarz, Susanne Völkert