Plötzlich schnappt die Handschelle zu und lässt sich zu allem Überfluss nicht mehr öffnen. Unfreiwille Spannung erzeugte Reinhold Pletziger, der Schülern des Kardinal-von-Galen-Gymnasiums vom Leben im Gefängnis berichtete. Foto: gro

Die Handschelle klemmt

Gast aus dem münsterischen Gefängnis berichtet Schülern vom Leben im Knast

Münster-Hiltrup. Wie vielen Menschen Reinhold Pletziger bereits Handschellen angelegt hat, wird er wohl selbst noch nie gezählt haben. Es gehört schließlich irgendwie zum Tageswerk, wenn man ein langes Berufsleben im Gefängnis verbracht hat. Da Pletziger gut erzählen kann und nie um einen lockeren Spruch verlegen ist, ist der Leiter der Hauptgeschäftsstelle des münsterischen Gefängnisses in den Schulen ein beliebter Gast.

Über das Leben im Knast erzählt er Schülern, von Mord, der nicht verjährt, vom Jugendstrafrecht, das den Heranwachsenden trotz ihrer Missetaten nicht komplett die Zukunft verbauen soll und von dem Problem, dass in der Gesellschaft jeder abgestempelt ist, der einmal im Knast eingesessen hat. Dass das aber manchmal schneller gehen kann, als man glaubt, versuchte Pletziger den Schülern der Rechtskunde-AG am Kardinal-von-Galen-Gymnasium auch zu erklären.

Um ein paar Döhnkes ist Pletziger nie verlegen, auch die Juristerei ist bei ihm ganz und gar nicht trocken und dröge. Der Höhepunkt jedes Besuches, der am KvG auf Einladung des Leiters der Rechtskunde-AG und Rechtsanwaltes Lars Oliver Rekittke erfolgte, ist schließlich der Griff in jene Kiste - ein Sammelsurium von Gegenständen, die Pletziger und seine Kollegen beim Filzen der Gefängniszellen entdeckt haben.

Nachgebaute Schlüssel, Totschläger aus Aluminium, ausgehöhlte Schuhabsätze, Kugelschreiber, die zur Stichwaffe umfunktioniert wurden, Gitarrensaiten oder Drähte, die zu einem gefährlichen Mordwerkzeug werden können. Aus einem Braun-Rasierer und einer Spritze haben sich ganz Findige ein Tätowiergerät gebastelt. Eine Glühbirne mit zwei Röhrchen stellt den Höhepunkt des skurrilen Panoptikums aus der fremden Welt des Knastes dar. Das zu erraten, ist den Zehntklässlern des bischöflichen Gymnasiums eine Nummer zu entrückt. Eine Wasserpfeife für Knackis, klärt Pletziger auf. Zum Nachbau allerdings nicht empfohlen.

Verglichen damit sehen die Handschellen ganz gewöhnlich aus, da sie in jedem Krimi zu sehen sind. Philipp, der in der ersten Reihe sitzt, hat auch keine Probleme damit, seine Hand auszustrecken und sich die Fesseln anlegen zu lassen. Doch plötzlich ist Schluss mit lustig. Irgendwie lassen sich die Handschellen nicht mehr öffnen. Reinhold Pletziger dreht und zerrt. Es tut sich nichts. Dafür fliegen flotte Sprüche durchs Klassenzimmer. Ob Philipp sich bereits auf dem Weg ins Gefängnis wähnt, lässt er sich nicht anmerken. Als die Handschellen dann doch nach endlosen Versuchen wieder aufspringen, lacht auch er erleichtert.

Ein noch größerer Stein dürfte Reinhold Pletziger vom Herzen gefallen sein. „Das ist mir noch nie passiert“, beteuert er. Ein kleiner Tropfen aus der Ölkanne mag vielleicht helfen, damit aus diesem klassischen Vorführ-Effekt keine Wiederholungstat wird...

Michael Grottendieck, Westfälische Nachrichten 08. 11. 2005